Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

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Max Schwarte 
Deutschlands Waffenrüstung spätestens 1915 völlig erschöpft und sich selbst weit 
überlegen zu sehen, war ein Irrtum, zu dem sie sich mit widerwilliger Bewunderung 
hat bekennen müssen. 
Sie hat es tun müssen, obschon ihr selbst die Hilfsquellen der ganzen Erde an 
Arbeitern und Rohstoffen und, neben der eigenen hochentwickelten Industrie, die 
gewaltigen Industriewerke der Vereinigten Staaten unbeschränkt und unbegrenzt zur 
Verfügung standen. Durch diesen ungeheuren, durch keine noch so großen Leistungen 
andrer Art irgendwie auszugleichenden Unterschied ist ein Vergleich zwischen 
Deutschland und den Ententestaaten unmöglich, soweit es sich um das End¬ 
ergebnis der Arbeit handelt. Man muß es bei so ungleichen Ehancen ablehnen, die 
Rüstungen drüben und hüben als eine Art von grandiosem Wettstreit anzusehen, 
wie es der Engländer George A. B. Vewar in seinem sonst verdienstvollen Buche: 
„The Great Munition Feat 1914—1918“ (Oie große Rüstungsheldentat 1914—1918) 
tut. Er sagt: „Der Engländer ist aus den maschinellen Sieg nicht weniger stolz, als 
auf den menschlichen. Es war ein Wettrennen zwischen uns und dem Feinde in der 
Erzeugung von Ranonen, Granaten, Flugzeugen, Tanks, Handwaffen, Gasen und 
Explosivstoffen und allen Offensiv- und Vefensivwerkzeugen des Land-, See- und 
Luftkrieges, einander übertreffend an Waffen und teuflischem Scharfsinn. Es kämpfte 
der Rlensch gegen die Maschine, der Geist gegen die Materie,- es bildete sich dann aber 
bald eine engste Partnerschaft zwischen Mensch und Rüstung, so daß der Frontkämpfer 
sich fühlte als der treue Namerad des Waffenmenschen, die gemeinsam den Krieg 
durchfochten und den Sieg erkämpften." 
In der Tat ist diese tiefe, aus innerster Erkenntnis geborene Verbundenheit in 
England viel größer gewesen, als in Deutschland. Das hindert aber nicht, daß es kein 
fair play ist, wenn die auf ganz verschiedenen Grundlagen arbeitenden Rüstungen 
der Gegner in vergleich gestellt werden. 
Ganz sonderbar aber ist es, daß trotz jener grundlegenden Unterschiede sich bei 
den Gegnern zunächst analoge Erscheinungen und Entwicklungen wie in Deutschland 
zeigten. 
Entscheidend dafür war, daß man in den Ententestaaten Frankreich, England und 
Rußland, genau wie dort, auf schwerste Schlachten, aber schnellen Sieg nach kurzen 
Wochen rechnete. Der Gedanke an eine lange Dauer des Krieges galt als absurd. Rur 
so ist es zu erklären, daß auch bei ihnen, die sich doch seit Jahren systematisch auf den 
Krieg vorbereiteten und, besonders in Frankreich, im Menschenausgebot bis zum 
äußersten gingen, die materielle Ausrüstung ganz unzureichend war. 
Das Geschütz- und Munitionsproblem in Frankreich 
Frankreich kam allerdings durch den Verlauf der ersten Kriegswochen in eine be¬ 
sonders schwierige Lage, vier Wochen nach Kriegsbeginn war sein Nordostgebiet von 
deutschen Truppen besetzt,- dort aber lagen die Erz- und Kohlengruben, auf denen 
seine Industrie aufgebaut war — 85% dieser Reichtümer waren ihm verloren. 
Immerhin war für es von Vorteil, was es im Frieden oft als Nachteil empfunden 
hatte: die entfernte Lage seiner rüstungsindustriellen großen Werke — der staat¬ 
lichen wie der privaten — von den Rohstoffquellen und Halbfertigfabrikaten. Sie 
blieben der deutschen Gewalt entzogen. Die gleichen Anfangserscheinungen wie in 
Deutschland traten auf. Da die allgemeine wehr- und Dienstpflicht rücksichtslos auf
	        
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