Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

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Max Schwarte 
Maßgebende Faktoren für den Ausbau der Wehrmacht 
Jedes Volk entwickelte feine lebenden Streitkräfte in dem Maße, daß es in ihnen 
über eine solche Macht zu verfügen glaubte, um einen Krieg gegen sich als zu gefährlich 
zu verhindern oder um für einen zu bestimmtem Zweck zu führenden Krieg genügend 
gerüstet zu sein. Danach bemaß sich die Schärfe, mit der in den europäischen Fest¬ 
landsstaaten die allgemein bestehende „Allgemeine Wehrpflicht" zur Durchführung 
gelangte. Mit den Streitkräften aber müssen die für sie bestimmten Kampfmittel 
konform gehen; die einen ohne die gleichwertigen anderen sind ohnmächtig. Wie die 
Völker keine Anstrengung scheuten, um ihre Streitkräfte phgsisch, geistig und seelisch 
auf die höchste höhe zu bringen, so ging auch ihre Sorge dahin, ihnen die Kampf¬ 
mittel zuzuweisen, die sie als die besten erkannten, und in einer Menge, wie sie der 
Krieg voraussichtlich erfordern würde. Eine Grenze setzten allerdings dort die Zahl 
der für den Militärdienst tauglichen Personen und hier die finanzielle 
Leistungsfähigkeit des Landes. 
Ungenügende Rüstung der Mittelmächte bei Kriegsausbruch 
Daß diese Faktoren in Deutschland und Österreich-Ungarn und in Frank¬ 
reich, Rußland und England außerordentlich verschieden und in den beiden ersten 
geradezu beschämend gering waren, ist ihnen zum verderben geworden, hohnvoll 
hat nach Kriegsende der französische Generalstabschef Luat ausgesprochen, daß 
Deutschland bei gleichem Gpferwillen, wie Frankreich ihn Jahrzehnte hindurch zeigte, 
600000 wohlausgerüstete Soldaten 1914 mehr ins Feld hätte führen können, 
und daß seine verantwortlichen Staatsmänner mit der Unterlassung geradezu ein 
verbrechen an ihrem Volke begangen hätten. Dabei hatte Buat nicht einmal recht: 
es waren nicht 600000, sondern mehr als eine Million! 
Man glaubte nur an einen ganz kurzen Krieg 
Das Schlimmste aber war, daß man auch keine Vorbereitungen getroffen hatte, um 
sie als Ersatz für die zu erwartenden Verluste schnellstens auszubilden. Die 1879 von 
Bismarck und Moltke dringend geforderte, gesetzlich festgelegte Ausbildung der Ersatz¬ 
reserve war nach kurzer Durchführung aus Geldrücksichten unterblieben, und Waffen, 
Munition und Kriegsgerät waren nicht für sie beschafft. Für die organi¬ 
satorisch „planmäßig" festgelegten Kriegsformationen war für die Mobilisierung alles 
auf das sorgfältigste und peinlichste auf das ausreichende, aber in echt preußischer 
Sparsamkeit auch auf das knappste Matz vorhanden. So vollzog sich die deutsche 
Mobilmachung, wie alle Welt anerkannt hat, in vollkommenster Ordnung. Mit besten 
Waffen, mit gefüllten Patronen- und Munitionswagen, mit gefüllten Munitions¬ 
kolonnen und -zügen marschierten die Armeen an den Grenzen auf, griffen an und 
erwarteten — so hatte man sie instruiert — nach einigen entscheidenden, wenn 
auch blutigen Schlachten im freien Felde, also nach wenigen Wochen, allen¬ 
falls Monaten, den Frieden. Wer als Offizier vorher von Stellungskrieg, wie auf dem 
Balkan oder in der Mongolei, oder von Jahresdauer sprach, riskierte den Abschied. 
Diese von der Regierung mehrfach selbst ausgesprochene Ansicht hatte nicht nur 
in der Volksvertretung gern gläubige Hörer gefunden, sondern in allen Kreisen. Als 
ich Anfang Juli 1914 bei einem Besuch der Thgssenschen Hafenanlagen in Hamborn
	        
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