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Hermann Seyet
wie sie im Weltkrieg üblich wurde, lag damals außerhalb der Berechnung. Man dachte
nur an Brunnenvergiftungen, vergiftete Geschosse, Säbel, Lanzen usw.
Vas zweite verbot betrifft formal wohl Geschosse, wie sie im späteren Verlauf des
Krieges verwandt wurden. Sicher aber hat man sich damals im Haag kein rechtes
Bild davon gemacht, was man eigentlich verbieten wollte. Oie Rauchentwickler der
Pioniere, die seit sehr langer Zeit im Festungskrieg gebraucht wurden und die unter
Umständen auch als unter dieses verbot fallend bezeichnet werden können, wollte
man jedenfalls nicht treffen. Immerhin: Vas verbot, wenn auch ein sehr ungenügend
definiertes, bestand, es hätte im Kriege doch wohl innegehalten werden müssen. Wir
werden aber später sehen, daß die Übertretung dieses Verbots Nr. 2, falls eine solche
vorliegt, keinesfalls Deutschland zur Last gelegt werden kann.
Oie größte Wirkung in der Öffentlichkeit hatte das dritte verbot. Venn dieses
arbeitete mit Gründen der Humanität.
hierzu ist zu sagen:
Gewiß sind die Leiden der Gaskranken schauerlich anzusehen. Sie sind aber weder
schwerer noch gefährlicher, noch schmerzhafter als bei anderen Kriegsverletzungen.
Im Gegenteil! Oie Sanitätsstatistik aller Länder weist ein wesentlich günstigeres Ver¬
hältnis zwischen Gastoten und Gaskranken auf, als zwischen anderen Kriegstoten
und Kriegsverletzten. Oie Heilerfolge sind erheblich besser, dauernde Schäden ver¬
hältnismäßig viel seltener und geringer.
Vas ist leicht erklärlich. Oer Eindruck der Neuerscheinungen des Gaskampfes war
gewaltig, wer erstmals von der scheußlichen Gaswolke von tjpern hörte, wer erstmals
— selbst nur im Film — die unheimliche Wirkung der sich langsam heranwälzenden
Wolke erlebte, wer die durch affenartige Masken verunstalteten Kämpfer erblickte,
wer die Atemnot der Gaskranken mit ansehen mußte, der konnte leicht zu dem Glauben
kommen, dies neue Kriegsmittel sei „geeignet, unnötige Leiden zu schaffen".
In Wirklichkeit berechtigt nichts dazu, den Gaskrieg für grausamer und unmensch¬
licher zu halten als irgendeine andere Art der Kriegführung. Im Kriege erklärte man
jeden für irrsinnig oder zgnisch, der behauptete, die Gaskampfmittel seien teilweise
ganz besonders human, heute finden wir auch im Ausland viele Stimmen, die es für
gänzlich abwegig erklären, den Gaskrieg aus humanitätsgründen verbieten zu wollen
und die anerkennen, daß ;. L. unser im Kriege verwandtes Blaukreuz'), wenn es für
sich allein verwendet wurde, viel humaner gewesen sei als etwa Brisanzgranaten,
schwere Minen, Fliegerbomben oder dergleichen.
Warum der Feindbund die Propaganda gegen das Gas
so sehr betonte
Nur deshalb kam der Gaskrieg in so schlechten Ruf, weil er neuartig
warund weil es denveutschen bald gelang, einen großen technischen und
taktischen Vorsprung in seiner Anwendung und im Schutz gegen ihn zu
gewinnen. Man setzte deshalb die stärkste Waffe des Feindbundes, diepropaganda,
gegen den Gaskrieg ein und hoffte dadurch seine Entwicklung und Anwendung zu
Oie Bezeichnungen Blaukreuz, Grünkreuz, Gelbkreuz haben nichts mit der chemischen Zu¬
sammensetzung der verschiedenen Gararten zu tun. Sie rühren von der äußeren Kenntlichmachung
der Geschosse her und erwiesen sich als praktisch für die Benennung.