Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

8 
Werner Beumelburg 
einen sicheren Platz zu suchen, sei es im französischen Gefangenenlager, sei es hinter 
-er holländischen Grenze, sei es im Lazarett? 
In diesem letzten und kaum noch erträglichen Stadium des Krieges wurde der 
unbekannte Soldat zum geheinmisvollen Träger der Zukunft, seiner selbst kaum noch 
bewußt. Es offenbarte sich, daß er es gar nicht vermochte, sich loszulösen von seinem 
Schicksal, selbst wenn er es gewollt hätte. Seine Schweigsamkeit legte um ihn den 
schützenden Panzer gegen alle Kräfte der Zersetzung, und das Echo des Verrats blieb 
aus. Gb lebend oder tot, er war längst zu einem Gpfer geworden, zu einer heiligen 
Einsaat. Vas Gefäß seines Erduldens war so groß und schwer, daß niemand es auf¬ 
zuheben und umzustürzen vermochte. Es war schon bestimmt, daß eine kommende 
Generation, geführt von den Beherrschern des Schlachtfeldes, aus diesem Gefäß 
einmal die Kräfte schöpfen würde, um dos niemals verlorene, wohl aber besudelte 
und beschmutzte Bild des Vaterlandes dereinst wieder rein zu enthüllen. 
Es kann nun einer kommen und sagen: kvie ist dies zu beweisen, und ist es nicht 
eine reine Annahme, eine gefühlsmäßige Konstruktion? lvie soll denn eine solche 
Kraft von einem Tgpus ausgehen, der gan^ in sich selbst versunken und schweigsam 
sein unbekanntes Schicksal trug? Die Neunmalklugen werden es nie begreifen, aber 
die Neunmalklugen haben auch niemals in das Räderwerk der Geschichte eingegriffen. 
Wenn es nach ihnen ginge, säßen wir heute noch da und rechneten aus, daß es un¬ 
möglich sei, das Schicksal zu wenden. 
Oie fortzeugende Kraft des Opfers 
Wer die Kraft des Opfers bestreitet und seinen Sinn, muß auch die Kraft der 
Idee bestreiten, denn die Zdee wächst nur durch die Opfer, die für sie gebracht werden. 
Oie Kirche hat ihre Blutzeugen heilig gesprochen und nährt durch sie und mit ihnen 
die Idee, der sie dient. Oer Sohn, der heute von seinem Vater vernimmt, der vor 
Verdun als Gpfer für die Zdee des Vaterlandes gefallen, der junge Wann, der am 
Grabe seines Bruders sein Gebet verrichtet, der Überlebende, der auf dem Bild 
seiner Schulklasse von 1914 neben sieben lebenden zwölf gefallene Nameraden zählt, 
die Mutter, die ihre Söhne hergab, die Krau, die ihren Gatten beklagt, das junge 
Geschlecht, das die endlosen Reihen der Gefallenen und die wiederauserstandene 
Stunde ihres Todes an sich vorüberziehen läßt — sie sollten nicht hundertmal tiefer 
ergriffen werden von der mystischen und unvergänglichen Kraft des Opfers? Es 
gab keine größere Sinnlosigkeit und kein schlimmeres verbrechen als den kläglichen 
versuch, die ungeheure Külle der Gpfer als einen Irrtum und einen Wahn hin¬ 
zustellen. Dies eine verbrechen hätte genügt, um diese Zeit hinabzustürzen in den 
Pfuhl der Vergessenheit. 
Varstellung und Erinnerung knüpfen sich an das Tatsächliche, aber die bewegenden 
Kräfte strömen aus dem Unbewußten, für das die Gpfer gebracht worden sind. Nus 
dem Opfer formt sich das Bekenntnis, und abermals gibt das Bekenntnis die Kraft, 
sich aufs neue zu opfern. Es gibt einen alten Spruch, der lautet, daß der Krieg die 
Guten besser, die Schlechten schlechter mache und daß er die Gleichgültigen belasse 
wie sie sind. Da aber das unerbittliche Gesetz des Krieges die Guten zumeist als 
Opfer verlangt und den Schlechten erlaubt, ihm zu entrinnen, so wird mit dem Tage 
seines Endes die Krage nach der Zukunft und die Entscheidung zwischen Gut und
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.