Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

vom unbekannten deutschen Soldaten 
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Einordnung in das Schicksal der Gemeinschaft 
wir sprachen vom Schicksal, wie es dem einzelnen gegenübertritt und ihn zwingt, 
sich mit ihm auseinanderzusetzen. Wer aber vom unbekannten deutschen Soldaten 
und von der fortzeugenden Kraft seines Wesens berichtet, muß notwendigerweise 
auch davon sprechen, wie dieser Soldat es lernte, das Schicksal der Gesamtheit zu 
begreifen und als ein solches in sich aufzunehmen. Gab es nicht Dinge genug, die 
ihn an dieser Gesamtheit hätten irre machen können? Beobachtete er nicht, wie im 
gleichen Maße die Anforderungen wuchsen, die an ihn gestellt wurden, in welchem 
daheim die Zerrissenheit eines über die Maßen geprüften Volkes zunahm, die Un¬ 
fähigkeit einer politischen Leitung, die Unbekümmertheit und Frechheit einer zynischen 
Propaganda, die ihn selbst zu einem lächerlichen Dummkopf und zum Opferlamm 
irgendwelcher Interessen stempelte? Sah er nicht, wie die materiellen Kräfte der 
Front zu erlahmen und zu versiegen begannen, während jeder neue Tag ihm eine 
grausame Belehrung über die Unerschöpflichkeit der Mittel des Gegners brachte? 
Spürte er nicht, wie die ganze Last des Krieges sich immer schwerer auf seine Schul¬ 
tern senkte, je länger der Urieg andauerte, und empfand er nicht selbst als erster mit 
der Sicherheit seiner Erfahrung und seines Instinktes, daß dieser Urieg sich einem 
bitteren Ausgang zuzuwenden begann, der zu den Opfern auch noch die Schmach, 
die Verzweiflung, die Auflösung fügen würde? 
Lr eilte von Schlachtfeld zu Schlachtfeld und tat, in der Abwehr oder im Angriff, 
immer wieder seine Pflicht. Es wurde einsam um ihn, denn die wenigen, die der 
Uampf mit ihm zusammengebunden, schwanden dahin, und die neuen, die kamen, 
vermochten die alten nicht zu ersetzen. Er konnte sich fast an den Fingern abzählen, 
wann er selbst an die Reihe kommen würde, und bisweilen überfiel es ihn wie eine 
stille Verwunderung, daß er noch da war. Er hatte kein verlangen mehr nach Heimat¬ 
urlaub, denn er fand sich daheim nicht mehr zurecht. Es war zehnmal grausamer, 
die eingefallenen Gesichter der hungernden Uinder zu sehen, als dem gefallenen 
Kameraden die Lider über die Augen zu drücken. Es gab, von irgend jemandem 
am Schreibtisch ausgesonnen, einen sogenannten „vaterländischen Unterricht", denn 
es begann den höheren Stäben aufzufallen, wie schweigsam und in sich gekehrt der 
unbekannte Soldat wurde. Sie glaubten, die tiefe Stille in ihm durch sonderbare 
Rückgriffe nach der Schulbank zum Tönen bringen zu sollen. Die feindliche Propa¬ 
ganda begann sich seiner anzunehmen und versuchte, mit hundert raffiniert aus¬ 
geklügelten Mitteln seine Widerstandskraft zu unterhöhlen, nachdem es den Gra¬ 
naten und Maschinengewehren nicht gelungen war. Er fing an zu hungern. Er 
hatte nicht mehr genug Munition. Er mußte begreifen, daß die Gegner sich in 
den Tanks ein neues Kampfinstrument geschaffen, dem er fast gegenüberstand wie 
ein zu Tode verwundeter Fechter, dem ein Schwertstreich das Eisen aus der 
Faust geschlagen. Seltsame Nachrichten von daheim sprachen von einer neuen 
Schicht, die sich auf Rosten ihrer Mitbürger widerliche Vorteile verschaffte, und es 
kam so, daß sich Stimmen erhoben, der unbekannte Soldat auf den Schlachtfeldern 
verhindere den Frieden, weil er die Feinde immer wieder zur Fortsetzung des 
Krieges zwänge. 
war dies denn noch Gemeinschaft, war dies das Vaterland? war es nicht ein¬ 
facher und lag es nicht näher, sich im beginnenden Strudel der Auflösung beizeiten
	        
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