Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

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Hugo v. waldeger-hartz 
gischer Grundlage hatte es jedoch nicht gelangt, die Kräfte von Armee und Klotte 
haben beileibe nicht jene einheitliche und zielstrebige Zusammenfassung gefunden, die 
Not und Ernst der Stunde gebieterisch erforderten. Wie kümmerlich es darum bestellt 
war, möge ein Vorgang beweisen, der sich bei Kriegsausbruch abgespielt hat. Daß 
die Überführung eines englischen Expeditionskorps 
nach dem Festlands zu erwarten stand, war bekannt, unsicher war lediglich der Zeit¬ 
punkt der Überführung. Als der Ehef der Gperationsabteilung des Admiralstabes, 
der Kregattenkapitän hegdel, im Aufträge seiner Behörde beim Großen General¬ 
stabe anfragte, ob die Armee großen wert auf die Störung der Truppentransporte 
lege, erhielt er vom Ehef des Generalstabes in eigener Person den Bescheid, 
die Marine solle sich durch diese Angelegenheit in ihren sonstigen Operationen nicht 
stören lassen; es wäre sogar ganz gut, wenn die Armee im Westen auch gleichzeitig 
mit den 160000 Engländern abrechnen könne. Demgemäß sind derartige Störungs¬ 
versuche — man darf getrost sagen zum Schäden der deutschen Kriegführung — 
unterblieben. Schuld tragen Heer und Marine gemeinsam. Die grundsätzliche Seite 
der Krage, ob die britischen Truppentransporte zu stören seien oder nicht, hätte als 
Maßnahme des ersten Gperationsbefehls längst entschieden sein müssen. Klotte und 
Heer haben es leider aber an einem ausreichenden Gedankenaustausch hierüber fehlen 
lassen. Die Armee war lediglich mit ihrem Zweifrontenkrieg beschäftigt, und der 
Marine schwebte nichts anderes vor als die Herbeiführung eines Rräfteausgleichs mit 
dem Hauptgegner, dem Briten, um ihn unter günstigen Bedingungen zur Entschei¬ 
dungsschlacht zu stellen. Daß die Klotte zu gegebener Zeit ihre Aufmerksamkeit auch 
der Förderung von Nebenzielen, wie sie sich aus der Landkriegführung ergeben, zu¬ 
wenden mutz, wurde vom deutschen Admiralstab verkannt. Die englische Klotte verfuhr 
anders und bewies damit, gestützt auf alte Erfahrungen, ein reiferes strategisches 
Verständnis. Wohingegen für die deutsche Seekriegsleitung als ungemein erschwerend 
hinzukam, daß sich die politische Leitung des Reiches nicht zur gebotenen 
Englandfeindschaft 
aufzuraffen vermochte. Bereits vom 26. Juli ab waren vom deutschen Marineattachö 
in London, dem Korvettenkapitän Erich v. Müller, höchst beunruhigende Meldungen 
in Berlin eingetroffen, die über den Ernst der Lage keinen Zweifel mehr ließen. Trotz¬ 
dem blieb man in zünftigen diplomatischen Kreisen bei einer günstigen Beurteilung; 
ja man hielt geradezu starrköpfig daran fest, daß man den Rest der englischen Kreund- 
schaft nicht durch herausfordernde Handlungen verscherzen dürfe, und ging hierin 
so weit, noch am 3. August 1914 das Auslaufen der zum Handelskrieg in den außer¬ 
europäischen Gewässern bereitgestellten Hilfskreuzer nicht zu gestatten. Dabei war 
das Auslaufen keineswegs als ein feindlicher Akt zu betrachten, solange ein Rückruf 
noch möglich und der Befehl zur Eröffnung der Feindseligkeiten noch nicht gegeben 
war. Die Seekriegsleitung begab sich durch diese Verzögerung erheblicher militärischer 
Vorteile, ohne letzthin einen Gewinn zu buchen. Selbst als Kriegszustand mit Krank¬ 
reich eintrat, ließ das Auswärtige Amt noch keinerlei Schiffsbewegungen nach dem 
Westen zu; alles in dem Wahn, England würde sich fernhalten, wenn man ihm keinen 
Anlaß zu kriegerischem Eingreifen böte. Als am 4. August nachmittags 7.30 Uhr der 
Kriegszustand auch mit England bekannt wurde, ging in Wahrheit ein allgemeines
	        
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