Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

Denkwürdige Begebenheiten aus dem Seekrieg 
Von Kapitän zur See a. D. Hugo v. Waldeyer-Hartz 
Der Seekrieg hat in dem gewaltigen Völkerringen — wir müssen es offen ein¬ 
gestehen — deutscherseits unter einem ungünstigen Stern gestanden. Die Lehre vom 
Schlieffenschen Zweifrontenkrieg überschattete alles. Für den Landkrieg traf 
sie zu, nicht aber für den Krieg als Ganzes. Er kannte von Anbeginn ab eine dritte 
Front, 
die Seefront, 
die Front gegen die Seemacht unserer Feinde unter großbritannischer Führung. 
Ls wäre ungerecht und falsch, wollte man der ruhmreichen deutschen Armee aus 
dieser Verkennung der kriegspolitischen Lage einen Vorwurf machen. Zn Wirklichkeit 
liegen die Dinge aber so, daß die Unterschätzung der Rolle, die die Flottengewalten 
während des Krieges zu spielen hatten, ein arges Verhängnis für Deutschland wurde. 
Die Gründe, die zu dieser Unterschätzung führten, waren verschiedener Art. Alt- 
Englands Seeruhm strahlte seit Jahrhunderten. Die junge deutsche Marine war sich 
ihrer Kraft wohl bewußt, sie hütete sich jedoch vor dem Fehler, den Gegner zu unter¬ 
schätzen, zumal da in der Gstseeflanke der russische Lär auch auf dem Wasser jeder¬ 
zeit seine Tatzen regen konnte. Strategisch betrachtet, war Deutschlands Lage zur See 
nicht gerade günstig. Wohl oder übel mußte es seine Hauptstützpunkte in den Flu߬ 
mündungen der Nordsee auf Ems, Jade, Weser und Elbe zusammendrängen. 
Vas bedeutete, praktisch gesprochen, Massierung auf einen strategischen Punkt, 
während die englische Aufmarschfront, dargestellt durch die britischen Inseln, als ein 
breiter Sperrbalken die Nordsee gegen das Atlantische Weltmeer abriegelte. Das 
Freie Meer, 
das msre librum, die Sehnsucht der ältesten Völkerrechtsverkünder, war mit Kriegs¬ 
ausbruch zum Kriegsschauplatz geworden, auf dem es einen Handel nur noch von 
Feindes Gnaden gab. Was es in Wahrheit aber bedeutete, von der Seefahrt aus¬ 
geschlossen zu sein, das sollte dem deutschen Volke nur ganz allmählich dämmern, 
vielleicht liegt sogar die bedeutsamste Leistung Deutschlands während des Welt¬ 
krieges darin, daß es sich mit seltener geistiger Rührigkeit, aber auch mit beispielloser 
Geduld darauf verstand, infolge seiner Absperrung von den Weltmeeren den Ersatz 
im Großen an Stelle gebieterisch auftretender Erfordernisse und gewohnter Lebens¬ 
bedingungen zu setzen. Schließlich darf bei Betrachtung der Hemmungen, die uns 
im Seekriege belasteten, nicht verschwiegen werden, daß auch der alte Erbfehler der 
Deutschen, ihre Eigenbrötelei, sehr wesentlich dazu beigetragen hat, die Seefront von 
vornherein nicht so stark zu machen, wie sie es verdient hätte. Zwischen Heer und 
Marine bestand zwar äußerlich ein gutes Einvernehmen, der Geist der Kameradschaft 
verband die Schwesterwaffen. Zur Herbeiführung eines Verständnisses auf strate- 
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