Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

Werner Beumelburg 
jene Gelassenheit angesichts der Gefahr, die oftmals schier unnatürlich wirkte, die 
aber nichts anderes ist als die Aufspeicherung menschlicher Energien zur höchsten 
Einsatzbereitschaft im Augenblick der Entscheidung. 
Gelassenheit und Instinktsicherheit kennzeichnen den Beherrscher der Schlacht¬ 
felder vorn in den Trichtern, wie er die technischen Mittel seines Handwerks in der 
Vollendung beherrscht, so befähigt ihn der aus Erfahrung, Gewöhnung und Selbst¬ 
überwindung gezeugte Instinkt, jeweils das für den Augenblick Richtige zu tun. 
Wochen verbringt er in der Gleichförmigkeit des täglichen Ablaufs der Dinge an 
der Front. Tage hindurch ist er dem Ansturm und der Gewalt des Trommelfeuers 
ausgesetzt, ohne äußerlich zu verraten, daß eine Änderung eingetreten ist und daß 
die Ereignisse mit tödlicher Folgerichtigkeit einem neuen Höhepunkt zueilen. Je länger 
die zermürbende Kraft der Materialschlacht über ihm wütet, desto schweigsamer, in 
sich versunkener, abseitiger scheint er zu werden, bis zu dem Punkt, an welchem die 
Gleichgültigkeit allem gegenüber ihn ganz gefangen hält. Wer ihn von ruhiger Warte 
in diesen Tagen hätte beobachten können, der hätte kaum noch menschliche Züge an 
ihm entdeckt. Er vermochte es, mitten im ärgsten Gewühl der Granaten ruhig zu 
schlafen. Es gab weder Anwandlungen der Furcht noch solche der Auflehnung gegen 
die Sinnlosigkeit der hämmernden Vernichtung. Es gab kein Nachdenken darüber, 
wie man in diese Lage hineingeraten, und kein Bestreben, sie möglichst rasch zu 
beenden. Es wurde auch kaum noch gesprochen, und die wenigen Handlungen und 
Bewegungen, die der rasende Grkan erlaubte, vollzogen sich in alltäglichster Art, 
knapp, rasch, gleichgültig, aus einer Notwendigkeit heraus, die den letzten noch ge¬ 
bliebenen menschlichen Regungen entsprang. Romantiker könnten glauben, daß in 
solchen Stunden ernsten und philosophischen Gesprächen über das Leben, seinen 
Sinn oder Unsinn und über die einfachste Art seiner Beendigung Raum gewährt 
worden sei. Man könnte auch denken, der Soldat habe noch einmal zum Bleistift 
gegriffen, einen letzten Gruß an daheim geschrieben und den Zettel mit Rührung 
in der Stimme seinen Nameraden übergeben, vergleichen Dinge gehören zu den 
unausrottbaren Vorstellungen einer Phantasie, die mit ihren schillernden Blüten 
gar zu gern die härte der Ereignisse selbst überwuchert. Aber das Trichterfeld richtet 
sich in feiner letzten und äußersten Machtentfaltung, in der Nacht vor dem Gro߬ 
angriff, nicht nach den Bedürfnissen der Romanschreiber. Vas Schicksal ist viel gnädiger 
als die Vorstellung, die man von ihm hat, indem es den Menschen eintaucht in die 
seltsame Dämmerung einer Apathie und ihm also die Grenzen des Erträglichen 
langsam verwischt. 
Dies ist es, was im Verhältnis des Menschen zu seinem Schicksal immer wieder 
gesagt werden muß als eine Beruhigung im Angesicht selbst der härtesten Ereignisse: 
Wie auf der einen Seite das Schicksal die letzten Anforderungen unbekümmert stellt, 
so hilft es auf der andern auch beim Ertragen, Förderer und Helfer zugleich, Gegner 
und Freund in einem Wesen vereint, geboren aus gebieterischer Notwendigkeit, der 
wir uns beugen müssen, aber in seinem Ablauf immer wieder die Nräfte und Mittel 
spendend, uns mit ihm zu versöhnen und seine Forderung anzuerkennen. Und wenn 
diese Haltung gegenüber dem Schicksal abermals eine der männlichen Tugenden ist, 
nach denen wir streben, so ward auch sie auf den Schlachtfeldern geboren und mil¬ 
lionenfach bewährt, und sie bleibt ein Geschenk jenes unbekannten deutschen Sol¬ 
daten an die, die ihm nachfolgen und denen sein Erbe anvertraut ist. 
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