Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

vom unbekannten deutschen Soldaten 
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äußeren Formen ihres Lebens wurden zwar noch von der Generation bestimmt, die 
ihnen vorausging. Aber sie hatten schon begonnen, sich davon loszulösen und eigene 
Wege einzuschlagen. Sie gingen viele Wege, und die Ziele, die ihnen vorschwebten, 
ermangelten noch der Klarheit, die man sich nur erkämpfen und die man niemals 
erdenken oder erfinden kann. In ihren besten Teilen gärte es von Grund auf. Sie 
waren schon mächtig in Bewegung geraten und von Mißtrauen erfüllt gegen die 
Ergebnisse eines blühenden Zeitalters, die sich nach Bankkonten und vermögen 
messen ließen, und gegen eine Politik, die unter dem äußeren Schimmer der Pracht 
und des Glanzes das Erdreich schon erzittern ließ von unheimlichen Spannungen 
und von der Schwüle heraufziehender Gewitter. Sie wurden mitten in ihren tastenden 
versuchen zur Auseinandersetzung mit dem Zeitalter vom Ausbruch des Krieges 
überrascht und überfallen. Sie unterwarfen sich diesem Ereignis mit einer Begeiste¬ 
rung und mit einem Rausch, der einer Erlösung glich. Sie legten mit Seele und Leib 
ein noch nie dagewesenes Bekenntnis zum Gedanken des Vaterlandes ab. Aber sie 
empfanden schon dabei im Unbewußten, daß dies Vaterland, ewig in seiner Idee, 
einer Umformung bedürfen werde, die sie als das Ergebnis der eigenen Tat und des 
eigenen Opfers erwarteten. 
Zn solchem Glauben rannte dies junge Geschlecht, getrieben von dem eigenen 
Rausch und von einer unvernünftigen Führung allzu früh eingesetzt, gegen die 
feindlichen Maschinengewehre und wurde in Hekatomben geopfert zu einer Zeit, als 
die deutsche Armee im Westen schon über genügend Erfahrungen verfügte, um mit 
ihrem kostbarsten Gut, ihrem Führernachwuchs, behutsamer umzugehen. So begann 
-er weg des deutschen Soldaten über alle Schlachtfelder der Welt, an alle Brenn¬ 
punkte dieses gigantischen Ringens, ein weg, der immer wieder zurück in den Westen 
führte. Es kamen die großen Gffensivschlachten im Osten und Südosten. Es kamen 
die furchtbaren Abwehrschlachten im Westen. Ls erhob schon, grauenvoll anzuschauen, 
die Materialschlacht von monatelanger Dauer zum erstenmal ihr Haupt aus den 
Trichterfeldern von Verdun und der Somme, um später in Flandern den Triumph 
der Sinnlosigkeit zu begehen. Welch eine Wandlung! welch ein weg! Aus den 
unerfahrenen Stürmern von Langemarck waren die Spezialisten der Schlachtfelder 
geworden, ganz entrückt den Vorstellungen ihrer eigenen Zugend, vom sagenhaft 
weit zurückliegenden Anfang des Krieges ebenso weit entfernt wie von seinem un¬ 
vorstellbaren Ende, wie grotesk wäre der Gedanke gewesen, in einem Unterstand 
am Bahndamm von Fleurg oder in einem Betonbunker in paschendaele hätte eine 
Handvoll junger Soldaten zusammengesessen, um sich im Gespräch mit der zukünf¬ 
tigen Gestaltung des Reiches zu befassen, mit den notwendigen Folgerungen aus 
der Tatsache des Krieges in politischer, kultureller und sozialer Hinsicht. Zeder Ge¬ 
danke, jede Minute sind ausgefüllt mit den Erfordernissen des Krieges. So gründlich 
ist die Form des täglichen Lebens und Sterbens auf den Kopf gestellt, als wandelten 
sie in einem andern Dasein und als sei jeder Gedanke nach rückwärts oder nach vor¬ 
wärts eine Lächerlichkeit oder eine Schwäche, ein Pflichtversäumnis oder ein Unrecht 
an den Kameraden. 
Die Sprache hat sich gewandelt. Die Gedankenwelt ist eine andere geworden. 
Vas Gesicht hat sich verändert. Die Begeisterung ist längst dahin, aber der Heroismus 
ist zu einer wortlosen Selbstverständlichkeit geworden, wäre es möglich oder denkbar 
gewesen, zu überprüfen, was denn eigentlich von den Begriffen der Vergangenheit, 
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