Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

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Einblicke in den Nachrichtendienst während der Weltkrieges 
und besonders die Stimmung der kolonisierten Völkerschaften und ihre Beeinflussung 
zum Ziele hat, wie Deutschland es mehrfach erfahren hat und die Nolonialstaaten in 
Zukunft erfahren werden. 
vom russischen Nachrichtendienst 
ver Chef des russischen Nachrichtendienstes zur Zarenzeit ließ mir nach dem Uriege 
aus seinem Exil im Ausland den Wunsch übermitteln, mich kennenzulernen. Da man 
seine Einreise nach Deutschland nicht wünschte, bat ich ihn, mich gelegentlich einer 
Auslandsreise in Wien zu treffen, um auch dem ehemaligen Lhef des österreichisch- 
ungarischen Nachrichtendienstes Gelegenheit zu geben, an der Zusammenkunft teil¬ 
zunehmen und, wie ich, eine zwar nachträgliche, aber immerhin geschichtlich noch 
wertvolle Aufklärung über das Wirken des kaiserlich russischen Nachrichtendienstes im 
Bereich der Mittelmächte zu erhalten. Ich lernte in dem einst so einflußreichen Mann 
einen durch das bittere Ende der Verbannung ungebrochenen glühenden Patrioten 
kennen. Er bestätigte die enge Zusammenarbeit des Nachrichtendienstes der Feind- 
bundstaaten schon vor dem Uriege und gab sich keinen Illusionen darüber hin, daß 
diese es dem Feindbund ermöglicht hatte, in Rußland Fuß zu fassen und letzten Endes 
sich durch die Revolution gegen den friedenswilligen Zaren zu wenden. Zn das poli¬ 
tische Getriebe des Nachrichtendienstes des Keindbundes war derjenige des kaiserlichen 
Rußland nicht hineingezogen worden. Er war ausschließlich zur militärischen Er¬ 
kundung Deutschlands verwendet und zu diesem Zweck mit großen Geldmitteln 
unterstützt worden. Eine Propaganda in Deutschland war nicht betrieben worden. 
Sie begann erst mit dem Sturze des Zaren unter der demokratischen Regierung 
Uerenski. Dagegen waren die allslawischen Ziele Rußlands in der österreichisch-unga¬ 
rischen Ooppelmonarchie und auf dem Balkan tatkräftig und mit Erfolg vom Nach¬ 
richtendienst des kaiserlichen Rußland verfolgt worden. Oie hierbei gewonnenen Be¬ 
ziehungen hatten auch zu wertvollen Verbindungen in oberen militärischen Ureisen 
der Ooppelmonarchie geführt. 
Anders dagegen wurden mir die Verhältnisse in Deutschland dargestellt. Oer 
ehemalige Chef des russischen Nachrichtendienstes sprach sein Erstaunen darüber aus, 
mit welcher Harmlosigkeit untergeordneten, gering besoldeten, ungebildeten und 
darum wenig urteilsfähigen Angestellten hoher militärischer Behörden die wichtigsten 
geheimzuhaltenden Gegenstände bekannt und zugänglich gewesen wären. Aus 
diesen Ureisen hätten sich im Gegensatz zu Österreich-Ungarn die Beziehungen des 
russischen Nachrichtendienstes vorzugsweise rekrutiert, ver versuch, deutsche Offiziere 
zum Landesverrat zu verleiten, sei angesichts dessen und in der Überzeugung, daß er 
bei dem hohen Ehrbegriff des deutschen Gffizierkorps erfolglos sein würde, niemals 
unternommen worden, vom deutschen Heer und seinen Leistungen sprach er mit 
aufrichtiger Bewunderung und zollte auch dem deutschen Nachrichtendienst und der 
deutschen Abwehr die Anerkennung, trotz der ihm wohlbekannten geringen Unter¬ 
stützung durch die politischen Faktoren großen Erfolg gegen Rußland gehabt zu haben. 
Seine nunmehr nicht mehr gegen das russische Staatsinteresse verstoßenden Mit¬ 
teilungen über seine Beziehungen und seine Erfolge in Deutschland ergaben nicht viel 
mehr, als der deutschen Abwehr bereits bekannt geworden war. 
Aus dieser höhe der Betrachtungen muß ich nun zunächst hinabsteigen, um einen 
Einblick zu geben in das untere Getriebe des Nachrichtendienstes nach Kriegsausbruch.
	        
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