Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

Einblicke in den Nachrichtendienst während des Weltkrieges 105 
fügung standen, genügten auch nur notdürftig für den Dienst gegen Frankreich und 
Rußland. Sie betrugen bis zum Jahre 1913 jährlich 350000Mark, für das Jahr 1914 
waren vom Reichstag auf Drängen des Generalstabs, besonders unter dem Einfluß 
des Obersten Ludendorff, 450000 Mark bewilligt. Dies hatte zur Folge, daß, als der 
Rrieg im Sommer 1914 überraschend ausbrach, der deutsche Generalstab überhaupt 
in England über keinen vorbereiteten Nachrichtendienst verfügte, geschweige denn 
über einen solchen, welchen ein Weltkrieg erfordert. 
Der Vorsprung des feindlichen Nachrichtendienstes 
Dieses muß vorausgeschickt werden, um verständlich zu machen, welchen Vor¬ 
sprung der Feind nicht nur politisch, sondern auch im Nachrichtendienst vor den Mittel¬ 
mächten bei Kriegsausbruch hatte, hinzugefügt muß werden, daß Deutschland weder 
über einen politischen noch wirtschaftlichen Nachrichtendienst verfügte, daß es ange¬ 
wiesen war allein auf die Berichte seiner amtlichen Vertreter, die aber, zumal bei 
der von ihnen gepflegten gesellschaftlichen Exklusivität, ebensowenig die Wahrheit 
über die politische und wirtschaftliche Nriegsvorbereitung ihrer Gaststaaten erfuhren 
wie die Militär- und Marineattachss über die militärische. 
Ein politischer Nachrichtendienst wurde erst im Krieg geschaffen, als der Abge¬ 
ordnete Erzberger sich dem Auswärtigen Amt zu diesem Zweck anbot. Ein zwar ge¬ 
wiegter Politiker im Gesichtskreis des innerparlamentarischen Lebens,- nach Herkunft, 
Fähigkeiten und Eharakter aber weit unterlegen den Staatsmännern, die diesen Dienst 
auf der Gegenseite leiteten. Seine Verstrickung in die deutsche Parteipolitik veranlaßte 
ihn zudem, nicht das zu erstreben, was ein objektiv geleiteter Nachrichtendienst fest¬ 
stellen muß, die Wahrheit, sondern den außenpolitischen Nachrichtendienst zum Werk¬ 
zeug einer vorgefaßten Meinung, des Verständigungsgedankens, zu machen. Die 
Rolle dieses politischen Nachrichtendienstes im Weltkrieg und sein Einfluß durch die 
Stellung des Abgeordneten Erzberger im Reichstag auf weite gutgläubige Kreise 
waren verhängnisvoll. Seine Schwäche wurde vom Feinde erkannt und zum Betrüge 
des deutschen Volkes ausgenutzt. Die von ihm geschaffenen Illusionen brachen erst in 
Versailles zusammen. 
Der militärische Nachrichtendienst dagegen meldete die unerbittliche Wahrheit. 
Auf dieser beruhte das verlangen der Obersten Heeresleitung weiterzukämpfen und 
das Gewehr nach hindenburgs Warnung nicht eine Minute zu früh an die Wand zu 
stellen. Auch diese Verhältnisse zu kennen ist notwendig, um zu begreifen, weshalb 
der Gegensatz zwischen politischer und militärischer Führung in Deutschland sich ver¬ 
schärfte und sich in Feindschaft gegen den militärischen Nachrichtendienst auswirkte. 
Auf seiten des Feindbundes aber wurde er von der Regierung und den politischen 
Faktoren der Heimat nicht nur unterstützt, sondern in seiner Tatkraft und richtigen 
Einschätzung der Mittelmächte, also des Feindes, noch überboten. 
Statistik aus der Spionage 
So ist es nicht nur das ausschließliche Verdienst des Nachrichtendienstes der Feind¬ 
bundstaaten, wenn die militärischen, wirtschaftlichen und politischen Staatsgeheim¬ 
nisse Deutschlands vor dem Kriege fast restlos in seinem Besitz waren. Da wo er be-
	        
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