Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

Unterlassungssünden in der Rüstung 
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deuren usw. in den ersten Rriegsmonaten mutzte man notgedrungen vielfach Per¬ 
sönlichkeiten in Führerstellen einrücken lassen, die wohl den besten willen hatten, 
ihren Platz so gut als möglich auszufüllen, die aber nach Vorbildung, Lebens- und 
Oienstalter wenig geeignet waren. Teils griff man auf überalterte, teils auf zu 
jugendliche Leute zurück, die es noch nicht verstanden, Untergebene, namentlich alte 
Reserve- und Landwehrmänner, richtig zu behandeln. Ausbildung, Führung und 
innere Zustände der Truppe litten darunter. 
Ts kam dazu, datz wir im Frieden nicht immer genügend darauf bedacht gewesen 
waren, grundsätzlich jeden aktiven Offizier und Unteroffizier systematisch für die 
nächsthöhere Führerstelle vorzubilden, — jeden Zugführer zum Rompanieführer, 
jeden Hauptmann zum Bataillonssührer usf. Noch weniger war bei uns für die 
kriegsmätzige Ausbildung der Offiziere des Beurlaubtenstandes geschehen, im Gegen¬ 
satz zu den Franzosen, die in dieser Hinsicht durch ihr Wehrgesetz von 1905 int Vor¬ 
teil uns gegenüber waren. Im übrigen war die Ausbildung bei unseren Gegnern 
gewitz nicht besser als bei uns,- aber in der übermäßig gefährdeten Lage Deutschlands 
hätten wir eben alles tun müssen, was in menschlichen Kräften stand, um das Miß- 
verhältnis der Zahlen wenigstens durch die Überlegenheit der moralischen und gei¬ 
stigen Kräfte, soweit irgend denkbar, auszugleichen. 
wie die personelle, so war auch die materielle Rüstung nicht für einen Krieg von 
langer Dauer berechnet. Schon für einen Feldzug von nur wenigen Monaten ge¬ 
nügten die bereitgehaltenen Bestände an Kriegsgerät nicht. Ts fehlten Waffen, Be¬ 
kleidung und Ausrüstung nicht nur für die Hunderttausende von Kriegsfreiwilligen, 
die im August 1914 begeistert zu den Fahnen strömten, sondern teilweise sogar für 
die ausgebildeten wehrpflichtigen, wie manches Landwehr- und Landsturmbataillon 
mußte in unvollständiger Ausrüstung Dienst tun und in Feindesland rücken! Lei den 
Ersatzformationen der Artillerie war die Ausbildung der Richtkanoniere, auf die es 
so sehr ankam, dadurch in hohem Matze erschwert, daß in manchen Standorten Ge¬ 
schütze und Richtmittel neuer Konstruktion, wie sie das Feldheer hatte, überhaupt 
nicht oder in viel zu geringer Zahl vorhanden waren. 
Gänzlich unzureichend waren die im Frieden niedergelegten Mengen an Artillerie- 
munition. An der Westfront trat ja schon nach wenigen Monaten empfindlicher 
Mangel ein. Der Generalstab hatte — namentlich nach den Erfahrungen des man¬ 
dschurischen Krieges — ständig auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Friedens¬ 
bestände so zu erhöhen, daß sie bis zum Einsetzen der Mobilmachungslieferungen 
reichten, hatte aber nur teilweise Erfolg. „Ein Munitionsmangel wäre auch ein¬ 
getreten", schreibt General Ludendorff, „wenn man meine Anträge ausgeführt 
hätte. Der verbrauch war zu gewaltig, wir hätten die Krise aber eher überwunden 
und wären vielleicht mit der Munitionsanfertigung in die Vorhand gekommen, statt 
schließlich immer in der Hinterhand zu bleiben." 
Ebenso wie wir hatten auch unsere Gegner den Munitionsverbrauch gewaltig 
unterschätzt,- auch bei ihnen trat bald Mangel ein. Bei den Franzosen z. L. hat die 
größte Munitionsnot gleich nach der Marneschlacht geherrscht. 
Weit mehr aber als die ungenügende Bereitstellung fertiger Munition hat sich 
das gerächt, datz wir in unserem Irrtum über die mögliche Dauer des Krieges es 
unterlassen haben, im Frieden bereits eine wirtschaftliche Mobilmachung vorzu¬ 
bereiten. Auch hierin war der Feind nicht weitsichtiger als wir,- aber bei ihm fielen
	        
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