Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

Unterlassungssünden in der Rüstung 
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daß es sich mit einem so schwachen Bundesgenossen, wie Österreich-Ungarn, zu¬ 
sammengekettet habe. Er stellte den vergleich an mit einem tüchtigen, soliden, wohl¬ 
habenden Geschäftsmann, der mit einem anspruchsvollen, aber zahlungsunfähigen 
und unzuverlässigen Freunde zusammen eine Firma gegründet habe. — Richtig ist 
es, daß die militärische INachtentfaltung der Donaumonarchie mit ihrem politischen 
Ehrgeiz nicht im Einklang stand. Weit blieb sie hinter den Rüstungen der anderen 
Großmächte zurück. Oer belgische Gesandte, Baron Greindl, hatte sie schon im herbst 
1905 als „in der Auflösung begriffen" beurteilt. Im herbst 1909 erklärte der öster¬ 
reichisch-ungarische Kriegsminister öffentlich im Parlament: „Die Armee ist im ver¬ 
dorren begriffen!" Leit dem Jahre 1889 war, abgesehen von der Einführung der 
zweijährigen aktiven Dienstzeit bei den Landwehren zu Beginn der neunziger Jahre, 
für die Erhöhung der Wehrkraft so gut wie nichts geschehen. Erst durch das Gesetz 
vom Jahre 1912 wurde eine Verstärkung des Heeres angeordnet,' aber von einer 
wirklichen Ausnutzung der Volkskraft war noch längst nicht die Rede. Einem Gegner 
wie Rußland war das österreichisch-ungarische Heer nicht gewachsen, — ganz ab¬ 
gesehen davon, daß es gleichzeitig mit den Lalkanstaaten und vielleicht sogar noch 
mit Italien zu rechnen hatte, mit dem die Reibungen immer stärker wurden. Trotz 
dieser Lage hat Deutschland nichts wirksames unternommen, um den Verbündeten 
zu einem angemessenen Ausbau seiner Kampfmittel zu veranlassen! 
Ganz anders war es bei den Ententemächten. Oie gewaltigen Kraftanstrengungen 
Rußlands nach dem verlorenen Kriege gegen Japan sind dem starken Druck der Fran¬ 
zosen zuzuschreiben, die das Zarenreich finanziell unterstützten und dafür bestimmte 
Forderungen stellten, und Rußland wiederum soll Frankreich die Wiedereinführung 
der dreijährigen Dienstzeit „aufoktroyiert" und im Falle der Weigerung mit der 
Kündigung des Alliance-Vertrages gedroht haben. 
Bei der Schicksalsverbundenheit Deutschlands und Österreich-Ungarns wäre es 
von hohem Wert gewesen, schon im Frieden eine einheitliche Oberste Kriegsleitung 
vorzubereiten. War dies nicht zu erreichen, so wäre es doch notwendig gewesen, 
wenigstens durch gemeinsame Vorarbeiten eine größere Übereinstimmung in den 
beabsichtigten Operationen sicherzustellen, als es geschehen ist. 
Lonrad v. hötzendorf, der österreichisch-ungarische Generalstabschef, hatte einen 
Operationsplan entworfen, nach dem er gleich bei Kriegrbeginn die Offensive gegen 
die Russen ergreifen und zwischen Bug und Weichsel auf Lholm—Lublin vorstoßen 
wollte. Er hatte dabei angeblich auf kräftige Unterstützung durch die 8. deutsche 
Armee gehofft, die er sich „im Sinn mehrfacher Vereinbarungen mit dem deutschen 
Generalstabe" von Ostpreußen her über die Narew-Bobr-Linie gegen Siedlec-Lukow 
vorstoßend dachte. Ein versprechen, durch einen derartigen Vorstoß russische Truppen 
zu binden, soll Rkoltke allerdings im Rkärz 1909 einmal gegeben haben, ohne es in¬ 
dessen später zu erneuern. Bei den Besprechungen der nächsten Jahre wurde von 
deutscher Seite nur allgemein möglichste Unterstützung, soweit es die Lage erlaubt, 
zugesagt, und die Operation auf Siedlec davon abhängig gemacht, daß die deutsche 
Armee in Ostpreußen sich nicht selbst gegen eine überlegene russische Offensive zu 
wehren hätte, wäre in den letzten Jahren vor dem Kriege eine engere Fühlung 
zwischen dem deutschen und österreichisch-ungarischen Generalstabe hergestellt worden, 
und wäre Eonrad v. hötzendorf über den deutschen Gstaufmarsch genügend unter¬ 
richtet gewesen, dann hätte er bei Kriegsbeginn nicht einen Augenblick darüber im 
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