neutrale Ausland, namentlich Holland, mit einer Lügenflut über
„deutsche Greuel".
„Sämtliche 4000 protestantischen Geistlichen in Holland erhielten", nach
dem Neichsarchivmitglied Hans Thimann, „die britischen Propaganda¬
broschüren. Einer von ihnen bekam an einem einzigen Tage 17 Stück."
Zum Einschmuggeln dieser Werbeschriften errichtete die englische
„Nationale Gesundheitsversicherungs-Kommisston" Propagandazentralen
in Holland, Schweden, Norwegen und der Schweiz.
Schon bei Kriegsausbruch hatte sich ferner in London unter dem
Ehrenvorsitz des Ministerpräsidenten Asquith ein „Zentralausschuß für
vaterländische Organisation" zur Aufmunterung der Granatendreher
und Munitionsmädchen gebildet. Die Universität Oxford gab eigene
„Oxford-Pamphlete" heraus und veröffentlichte die Schmähschrift des
deutschen, nach der Schweiz geflüchteten Landesverräters vr. Richard
Grelling „J’accuse" auf der ganzen Erde.
Dann noch ein mächtiger, von den Ministern Lloyd George und
Asquith mit Regierungsgeld ausgebauter „Kriegsausschuß". Von der
verbotenen, aber leider in die Öffentlichkeit gelangten, Deutschland
furchtbar schädlichen Denkschrift des ehemaligen deutschen Botschafters
in London Fürst Lichnowsky wurden von diesem Ausschuß allein
4 Millionen Exemplare über die gesamte Welt verbreitet.
Und von unserer Seite — nichts!
Das war das geistige Giftgas des Feindes — unsichtbar — über¬
allhin verweht. Ein „Grünkreuz" der Seelen. Aber es gab noch
einen zweiten „Krieg im Dunkeln": die Spionage.
Zu spionieren war für alle kriegführenden Staaten verfluchte Pflicht
und Schuldigkeit. Und diese wurde überall redlich erfüllt. Man muß
dabei von Filmvorstellungen absehen — von feindlichen Sirenen, die
den verliebten Kabinettskurier heimtückisch umgaukeln. Es hat natürlich
auch solche Frauenzimmer gegeben, aber im allgemeinen galt für den
Spion das Gesetz aller, die auf verbotenen Wegen wandeln: nicht un¬
nötig aufzufallen.
Der Spion der Entente in Deutschland — das war meist der harm¬
lose Neutrale: die bescheidene, kleine Westschweizer Gouvernante, die
100 deutsche Regimentsnummern sich im Kopf merkte und dann
plötzlich zu der kranken Mama nach Genf mußte. Der behäbige, in Ge¬
schäften reisende Mijnheer aus Amsterdam, der schläfrig auf jedem Bahn¬
hof seine Augen umhergleiten ließ, und leider auch zuweilen der deutsche
„kleine Mann" in den Schreibstuben kriegswichtiger Betriebe.
In den letzten 7 Jahren vor dem Krieg wurden vor deutschen
Gerichten 80 Spionagefälle von französischer, 41 von russischer, 21 von
englischer Seite abgeurteilt. Darunter leider Gottes von insgesamt
135 Zivilisten 107 Reichsdeutsche. Die — geheimgehaltene — Zahl der
in dieser Zeit von den Militärgerichten bestraften deutschen Heeresange¬
hörigen ist darin nicht enthalten.
Die verschwiegene Verwendung dieses hochbezahlten Lumpengesindels
ging in Frankreich vom 2. Büro des Generalstabs aus. Großzügig
seine Agenturen in Genf, Lausanne, Zürich, Basel. Das französische
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