3 deutsche Meilen von Petersburg entfernt. Er geht unter Be¬
wachung seiner ehemaligen Garderegimenter im Park spazieren. Er
drückt den Offizieren die Hand, bis einer ihm die Rechte verweigert.
Er übt seine Lieblingsbeschäftigung aus der Zarenzeit: das Bäume¬
fällen. Um ihn und die Seinen ist immer noch ein stattlicher Hof¬
staat geblieben.
Kerenski kommt aus Petersburg und erkundigt sich nach
seinem Wohlergehen. Er ist ein höflicher Kerkermeister. Er läßt sich
der Kaiserin vorstellen. Er hinterläßt einen guten Eindruck bei den
Staatsgefangenen, die nichts von seinen Sorgen ahnen.
„Hinrichtung Nikolai's II.", schreibt Kerenski, „das waren die oft wütend
vorgebrachten Forderungen, die im besondern mir, der ich für die
Zarenfamilie verantwortlich war, gestellt wurden."
Immer gefährlicher im Lauf der Zeit die Nähe Petersburgs, je
mehr dort, gegen den Sommer hin, die Gaffen gären.
Aber wohin mit dem ehemaligen Kaiser aller Reußen? Die Umgangs¬
sprache im Hause Romanow war englisch. Die Kaiserin betrachtete sich
vorwiegend als r"m englischer Herkunft. Die Provisorische Regierung
möchte Nikolai mit Frau und Kindern je eher je lieber nach England,
zu seinem gekrönten Vetter, verschiffen. In den ersten Tagen nach dem
Zarensturz scheint man an der Themse dem Plan nicht abgeneigt. Dann
läßt man dort sacht die Sache versanden. Man will nicht, indem man
den gestürzten Selbstherrscher in den schützenden Mantel des Union Jack
wickelt, die Liebe im Maien zwischen Old England und der taufrischen
Republik an der Newa gefährden. Dieser halb westlich-liberale, halb
asiatische Wechselbalg ist ja des Auswärtigen Amts in Downing Street
in London liebstes Kriegskind. Sein eigentlicher Vater, der Vater aller
Hindernisse bei der Rettung des garen, der britische Botschafter Buchanan
in Petersburg. Er erzählt selbst, daß er ein ihm zur Übermittlung an-
März 1917 vertrautes, ein Asyl in England anbietendes Telegramm des Königs
Georg von England an Nikolai II. statt diesem dem republikanischen
Außenminister Miljukow einhändigte, der es seinerseits niemals an den
garen weitergab. Er glaubte, in Rußland britischen Weizen zu säen,
und sah das Giftkraut des Bolschewismus sprießen. Mit den Nerven
niedergebrochen, verließ er nach dem Sieg der Schreckensherrschaft die
russische Hauptstadt.
Juli 1917 Nach dem Zusammenbruch der Front im Sommer wird die Volks¬
stimmung immer bedrohlicher. Wenn Nikolai II. schon im Lande bleiben
muß, dann, zu seinem eigenen Heil, möglichst weit vom Schuß! Aber
wohin mit ihm? Die Romanows hoffen auf die Riviera der Krim.
Statt dessen geht es nach Sibirien! In die Verbannung, in die die
garen so Unzählige ihrer Untertanen geschickt haben! Der Gedanke wird
die Menge beruhigen!
26.August 1917 Kerenski selber leitet mit Dragonern die Abreise. Hunderte von Sol¬
daten, alles Ritter des Georgskreuzes, füllen zum Schutz den langen
Luxuszug mit der Aufschrift „Japanisches Rotes Kreuz", in dem außer
der Zarenfamilie und dem Hofgefolge noch ein Dienstpersonal von
35 Personen mitfährt. Auf Flußdampfern treffen die Verbannten ohne
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