Volltext: Unteilbar und untrennbar (1,1919)

Die Schlacht bei Li! 
stehen, zur Division, um zu melden, daß die Stellung nicht zu halten 
ist. Die Ordonnanzen sitzen auf, reiten unbekümmert durch die Granaten 
und sind bald im Wald verschwunden. Es dämmert. Im Süden 
glühen die Schneegipfel der hohen Tatra im Lichte der untergehenden 
Sonne. Ein Haufen Verwundeter schleppt sich über den Kamm; 
klaglos, stumpf, humpeln sie vorbei. Man fragt sie aus, sie zucken 
die Achseln: „Es sieht sehr bös aus. Die Russen sind zu zahlreich. 
Wenn man drei erschlägt, stehen zehne auf ihrem Platz." Zwei 
tragen eine Bahre mit einem Todesbleichen darauf, der sichtlich 
nicht lange mehr zu leben hat. Da stürzt der vordere Träger mit 
dem Kopf ins Schneefeld — der Verwundete fällt herab.... es 
war nur eine verirrte Kugel.... Im Häuschen drinn ist eben die 
Meldung gekommen, daß im Zentrum der Kampfstellung fast kein 
Offizier mehr lebt und daß alle Reserven bereits im Kampfe stehen. 
Man wartet. Es ist ganz dunkel geworden. Gewehrkugeln pfeifen 
ums Haus; schwirren, fingen die Todesmelodie. Das bedeutet: 
das Gefecht ist ganz in unsere Nähe gerückt. Alles starrt gebannt 
auf den Telephonisten. Der spricht ganz automatisch, was der feine 
Draht ihm aus der Geftchtslinie ins Ohr flüstert. Er hört das 
Krachen der Granaten draußen im Feld, er hört das Sausen der 
Geschosse, das Schreien und Toben der Männer. .. aber davon 
spricht er nicht. Doch plötzlich sagt er: „Die Leitung ist unterbrochen." 
Alle Offiziere stehen auf. Einer springt hinaus, wo die Kürassiere 
stehen. Rasch ein Befehl: „Zieht euch alle bis an den andern Rand des 
Waldes zurück. Wenn ihr hier die ersten Russen seht — sofort zur Di- 
vifion und Meldung erstatten!" An der Tür trifft der Generalstäbler 
einen Soldaten, dessen Kopf verbunden ist; aber das Blut rinnt noch 
immer über sein Geficht. „Herr General," ruft er ins Zimmer „das halbe 
Regiment ist gefangen. Wir find im Rückzug!" Man stürzt hinaus 
und sieht schon von der Lichtung aus dunkle flutende Massen. Das 
sind die Unseren. Die Kugeln summen wie Bienen. Man hört schreien, 
Kommandorufe! Scharf und gellend. — Ein Offizier hier drückt 
auf seine Taschenlaterne, schreibt rasch eine kurze Meldung vom Rück- 
zug. Eine Ordonnanz sprengt mit ihr davon. Aber ... jetzt . .. 
der Atem stockt ... das Schießen hat plötzlich nachgelassen . . . 
aufgehört... die Russen müssen einen Grund haben . . . warum 
die Pause? . . . vielleicht wird noch alles gut ... Da bricht aus 
dem Dunkel ein deutscher Helm, stellt sich stramm hin und meldet: 
„Herr General, zwei deutsche Bataillone rücken herauf und greifen 
in die Schlacht ein!" — 
Eine halbe Stunde später war der Sturm der Russen ab- 
gewiesen. Ihre Massen fluteten ins Tal zurück und dann 
hinauf auf ihre Höhe, die blutdurchsickerte Kobyka. 
Aber ihre Führer gönnten ihnen keine Rast. War es gegen 
Westen nicht gelungen, mußten sie mit neuen Verstärkungen 
jetzt südwärts stoßen. Und hier gelang es ihnen bis gegen 
Mittag des nächsten Tages (u. Dezember) den Meierhof 
Odroncze, südlich Laskowa an der Lososina, zu nehmen. Die 
Umklammerung Limanowas wurde dadurch immer enger 
und wenn die Russen jetzt weiter angegriffen hätten, wäre 
die Lage bei Limanowa schwerlich zu halten gewesen, trotzdem 
dort Verstärkungen der Brigade Raymann (2 Ba- 
taillone der 8m) bereits eingelangt waren. Denn die Truppen, 
die den nordöstlichen Schutz von Limanowa gebildet hatten, 
waren in diesem Augenblick so matt und ausgepumpt, daß 
sie nach den Anstrengungen der letzten 48 Stunden, die alle 
Vitalität aus ihnen gezogen hatten, kaum imstande gewesen 
wären, einem neuerlichen wuchtigen Angriff standzuhalten. 
Die Husaren in Limanowa waren um 2 Uhr morgens 
alarmiert worden, um die vordere Linie beim Birkenwäldchen 
zu verstärken. Auf halber Höhe lösten sie sich genau nach der 
Taktik des Fußvolkes in Schwarmlinien auf, um in der 
nun schon gewohnten Art des Infanteristen zu kämpfen. 
Sie hatten heute einen neuen Oberst, Othmar Muhr, 
der mit dem Reitstock in der einen, Pistole in der anderen 
Hand, mit einigen Offizieren der Regimentsstabsabteilung 
>»anowa—Lapanüw. 5ZZ 
voranging. Obst. Muhr war im Kriege noch ganz neu. 
Er hatte bis vor wenigen Tagen in Sopron (Odenburg) 
Rekruten abgerichtet, war erst kürzlich zum Obersten avanciert 
und hatte vor drei Tagen erst in Chabüwka sein Regiment 
übernommen. Jetzt stieg er mit 400 Mann der Nadösdy- 
und Jazygier-Husaren die mäßige Höhe hinauf. Der Mond 
schien und die Nacht war still. — Auf einmal krachte es und 
gleich darauf wieder und urplötzlich zitterte ein greuliches 
Spektakel durch die kalte Morgenluft. Maschinengewehre 
knatterten und das Schreien kämpfender Männer gellte den 
Husaren entgegen. Obst. Muhr hörte dieses seltsame 
Gekreische und Donnern zum erstenmal, nnd wie jeden, der 
zum erstenmal den Krieg in nächster Nähe sieht und fühlt, 
packte es ihn mit mysteriöser Spannung. Er rannte den Berg 
hinan und seine Husaren hinter ihm. 
Oben waren die müden polnischen Laudstürmer, denen 
nur wenige Stunden Schlaf gegönnt gewesen, von den Russen 
überfallen und niedergemacht worden. Es muß ein kurzes 
und schreckliches Gemetzel gewesen sein. Denn als Obst. 
Muhr beim Birkenwäldchen anlangte und dort in unsere 
Schützengräben steigen wollte, da starrten ihm die langen 
Bajonette — der Russen entgegen. Muhr zögerte keinen 
Augenblick. „Szüntay menjünk neki!" schrie er dem neben ihm 
marschierenden Rittmeister v. Szäntay zu, „Szäntay geh'» 
met's an!" Aber schon hatten die Russen dem neuen Angreifer 
ihre Maschinengewehre zugewendet und pafften los. In 
diesem Augenblicke stürzte Rtm. v. Szäntay, der links 
von Muhr gestanden, tot zu Boden, und eine Sekunde 
danach, kopfüber, der Oberst selber. Er hatte einen Schuß 
im Unterleib. Die Husaren sahen den Tod ihres Führers 
und rannten los, um ihn zu rächen. Wie die Tiger stürmten 
sie in die russischen Linien hinein und kein Feuer und kein 
Stahl, keine Kugel und kein Bajonett konnte sie zurück- 
drängen. Rtm. Graf Thun-Hohenstein blieb 
sofort am Platz, die Rtm. v. Takäcs, v. Fejsr, v. Ber- 
n ol ak und viele viele andere schneidige Offiziere fielen im 
grimmigen Handgemenge. Aus Gewehren wurde kaum 
mehr geschossen. Die Kolben sausten und fielen krachend auf 
russische Schädel nieder. Einer nach dem anderen knickte 
zu Boden mit Köpfen, die breitgetretenen Melonen glichen. 
Man stach und schlug in besinnungslosem Zorn wie wahn- 
sinnig um sich und riß sich in Stücke. Die russischen Offiziere 
hetzten dichte Kolonnen auf die bedrohten Punkte hin, aber 
die Husaren lachten nur, je mehr Russen sie heranpirschen 
sahen und stießen gräßliche Flüche aus. Und jeder Fluch 
kostete einem Moskowiter das Leben. Die Russen, die gewagt 
hatten über die Karpathen zu brechen, die gewagt hatten, ihre 
heilige ungarische Erde sengend und plündernd zu betreten, 
die Russen, die jetzt ihren Oberst erschlagen hatten, die sollten 
bitter büßen. Und so raufte der Magyare Mann für Mann, 
und zertrat mit seinen Stiefeln, was seine Faust vorher 
stumm gemacht hatte. — Die dem Landsturm entrissenen 
Schützengräben blieben in unserem Besitze. Es war kaum 
5 Uhr früh. Und Limanowa war wiederum gerettet. 
Wohl dauerten die Kämpfe in seltener Verbissenheit den 
ganzen Tag an. Der Feind bot sein Menschenmaterial in 
unerhörter Verschwendung auf, um unsere Stellung zu er- 
schüttern, sein Geschützfeuer schwoll zum Orkan — aber es 
war alles vergebens, die Husaren wichen nicht. 
* * 
* 
Fast schien es, als ob all die ungeheuerlichen Opfer, alle 
heroischen Taten, die die blutgetränkten Felder nm Limanowa
	        
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