Volltext: Unteilbar und untrennbar (1,1919)

Raymond Poincars, Ministerpräsident und später Präsident Frankreichs. 
den aufrechtzuerhalten 
hoffte. Aber diese oft 
fen hingereichte Hand 
blieb unbemerkt, im 
Gegenteil, das Jnter- 
erzeugte einen 
Sturm des Uuwil- 
lens im Reiche und 
außerhalb, weil es 
den Gegensatz der 
Volksstimmungen so 
betonte. Und seit je* 
Tage war das 
Mißtrauen zwischen 
den Nationen nur 
noch gesteigert. Eng- 
land verzichtete ganz 
auf seine bisherige 
Politik: man ließ zu, 
daß Rußland Fiuu- 
land und Persien 
knechtete, Frankreich 
Kiderlen-Wächter, deutscher Staatssekre- mehr und mehr Ma- 
tär des Auswärtigen. rokko unter dem Vor¬ 
wand der Polizeirechte vergewaltigte, man versprach Italien 
Tripolis, das der Türkei gehörte, und nur Deutschland fand 
überall, wo es nur vordringen wollte, einen wohlerklärlichen 
Widerstand. 
Eine kurze Entspannung brachte der Tod König Eduard VII. 
am 7. Mai 1910. Dieser weltkluge und ehrgeizige Monarch 
hatte es verstanden, in wenigen Jahren das am meisten ver- 
einsamte und unbeliebteste Reich zum Drehpunkt der euro¬ 
päischen Politik zu machen. Mit Ausdauer und Geschick hatte 
er das Netz geflochten, das, dichter und dichter um Deutschland 
gesponnen, kaum mehr mit Diplomatie zu entwirren, sondern 
einzig mit dem Schwerte zu zerschneiden war. Sein Nachfolger 
Georg V. hatte zwar nicht mehr jene agressive Feindlichkeit 
der Gesinnung, aber die gefährliche Politik war schon auf 
festem Geleise und überlebte unter der Leitung Edward Greys 
ihren Schöpfer. Sie vermied jetzt nur jene Offenheit, die König 
Eduards Haltung bei all ihrer Gefährlichkeit doch loyal ge-- 
macht hatte und legte sich ein neues System heuchlerischer Un- 
Verbindlichkeiten zurecht, die Maske der Neutralität, unter der 
besser der Haß gegen Deutschland sich decken konnte. 
Einsichtige und weitblickende Warner hatten schon zur Zeit 
des Abschlusses des Algecirasvertrags hervorgehoben, daß mit 
der ungewissen Vorrechtsstellung Frankreichs in Marokko ein 
Brandherd im Hause des europäischen Friedens fortglimme. 
Die vollendete Einkreisung Deutschlands und Hsterreich-Ungarns. 1908—1912. 
einander alle Gegner Hsterreich-Ungarns, 
den Zaren, den König Peter von Serbien 
und den Fürsten Nikita von Montenegro 
empfangen hatte — schien nicht ganz wir- 
kungslos zu sein. Der Dreibund war ge- 
lockert, während die Entente cordiale — 
Frankreich,England,Rußland mit all ihren 
Annexen — sich immer mehr straffte und 
für den Augenblick des Abschnellens noch 
Italien hinüberzuziehen hoffte. 
In Deutschland spürte man deutlich 
und immer deutlicher die Umschnürung. 
Und der Kaiser in seiner energischen 
Initiative versuchte für seine Person die 
Gefahr zu bannen, indem er eine offene 
Aussprache mit den Gegnern suchte. In 
jenem Interview des „Daily Telegraph" 
erklärte er öffentlich und deutlich, daß 
er England in den schwersten Stunden 
zur Seite gestanden sei, sogar einem 
Antrag Frankreichs und Rußlands zu 
einem gemeinsamen Angriff widerstrebt 
hatte und selbst im Gegensatze zur Volks- 
stimmung auch weiterhin den
	        
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