Volltext: Die Geschichte des Weltkrieges II. Band (2,1920)

556 Der Feldzug gegen 
und Albaner, geschart um eine weißrote mit grünem Halb- 
mond bestickte Fahne, erwarteten sie vor ihren Toren. Als 
die deutschen Truppen dann durch das Zigeunerviertel und 
weiter an der Kaisermoschee vorbei ihren Einzug hielten, zogen 
auf einer anderen Straße von Osten her die Bulgaren ein. 
Mit Pristina ging den Serben der zweite Angelpunkt 
des Kosovo polje und mit ihm auch dieses selbst zum 
größten Teil verloren. Soweit sich dieses nördlich der Lab 
bis Mitrovica hin erstreckt, war es bereits in der Hand 
der Verbündeten. Denn schon hatte von Mitrovica aus 
die k. u. k. Z. Armee über Vucitrn zur deutschen ({., 
diese über Babinmost zu jener herübergegriffen, womit 
zugleich die beiden Armeen die in letzter Zeit etwas locker 
gewordene Anlehnung aneinander wieder fanden. 
Serbiens 
Wir hatten die Serben bei ihrem Rückzug bis Novi- 
pazar und Mitrovica begleitet. Novipazar mußte schnell 
aufgelassen werden, und auch in Mitrovica gab es weder 
für das flüchtige Volk noch für das Armeeoberkommando 
langen Bleibens. Denn die Gefahr, daß sich die Zange der 
Verbündeten, deren Scharnier in Nis festsaß, mit ihrer 
österreichisch-ungarisch-deutschen Kneife von Nord nach Süd, 
mit der bulgarischen von Ost nach West über sie zusammen- 
schlösse, wurde von Tag zu Tag größer. Wenn überhaupt, 
so führte nur noch der Weg nach Prizren aus dieser drohenden 
Umklammerung heraus. Sicher war auch dieser nicht mehr, 
denn das Sitnicatal, in dem er bis Lipljani zu verfolgen war, 
um von dort, nach Westen abbiegend, die von Ferizovic 
nach Prizren führende Straße zu gewinnen, stand schon unter 
den Geschützen jener bulgarischen Kraftgruppe, die im neuen 
Anlauf über Gnjilane auf die Zegovac planina vorgebrochen 
war. Und so verließen Flüchtlinge, Regierung und Armee-- 
oberkommando in der Nacht vom 15. auf den 16. November 
Hals über Kopf Mitrovica. Fast schon zu spät. Denn ein 
bulgarisches Detachement brachte es zuwege, bei Kacanik 
die serbischen Stellungen zu umgehen und hinter ihnen durch 
den Engpaß nordwärts vorzustoßen. Es hatte nicht viel 
gefehlt, und das serbische Armeeoberkommando wäre dabei 
gefangen genommen worden. Als es ahnungslos den Bul-- 
garen nahezu in die Hände lief, standen zu seinem Schutze 
bloß 200 Gendarmen. Hätten nun diese auch nur für einen 
Augenblick den Kopf verloren oder gezögert, sich den Bul-- 
garen entgegenzuwerfen, so hätte das serbische Heer seine 
Führer verloren. Doch die Gendarmen zeigten sich am 
Platze, ja es glückte ihnen sogar, sich solange zu behaupten, 
bis Verstärkungen herangekommen waren. Welche Anstreng- 
ungen dann die Serben machten, um einerseits hier den Weg 
nach Prizren offen zu halten, anderseits, um sich ihn über 
Kacanik weiter zu bahnen, gleichwie um jenen über Domo-- 
rovce nach der Front der Franzosen hin zu öffnen, haben 
wir gehört. Jedoch, weder sie selbst fanden aus der Mause- 
falle, in der sie zu ersticken drohten, hinaus, noch konnten 
ihnen die Franzosen aus ihr heraushelfen. 
Unterdessen zog das hilflose serbische Volk, und mit ihm 
Tausende Soldaten, gen Prizren weiter. Die Mehrzahl 
war bloßfüßig, in Lumpen gehüllt, und keiner hatte etwas 
anderes um den Hunger zu stillen, als rohen Kohl und Mais. 
In strömendem Regen, den bald Schneetreiben ablöste, 
zogen die, die nicht zusammenbrachen, weiter und weiter. 
Es waren dagegen nicht wenige, die am Wege liegen blieben, 
Serbien 1915/16. 
Was vom Kosovo polje den Serben noch übrig geblieben 
war, das verloren sie in den allernächsten Tagen. Westlich 
von Pristina verdrängten sie deutsche Truppen, die bis zum 
26. November die Höhen am linken Ufer der Sitnica nahmen 
und sie, Front nach Westen, besetzten, während der rechte 
Flügel der Bulgaren südlich von Pristina das Polje über- 
querte, die Serben bei Lipljani schlug, dann dort bei Vrago- 
lije die Sitnica übersetzte und in die Linie Golesberg— 
Stimlja, südlich der Drenica, gelangte. 
Es würde zu weit führen, jene Taufende und aber Tausende 
Gefangener und die große Beute an Geschützen und Kriegs- 
Material aufzuzählen, die in den letzten Tagen den beiden 
Armeen in die Hände fielen. Genug daran, daß dieser Ver- 
lust für Serbien unersetzlich war. 
Unstern. 
an dessen Rändern sich gebrochenes Fuhrwerk und tote Pferde 
anhäuften. Und über ihn hin schleppte sich mühsam ein 
ganzes Volk: der König, Würdenträger, Bürger, Bauern und 
Krieger, Greise, Frauen und Kinder. Wer zusammenbrach, 
tot oder sterbend, den deckte der niederrieselnde Schnee barm- 
herzig zu, jenen aber, die den Anstrengungen noch wider- 
standen, peitschte er, kalt und naß, unbarmherzig das Gesicht. 
Keiner von diesen obdachlosen, von Ort zu Ort Gehetzten, 
konnte sich noch, sei es auch nur an die leiseste Hoffnung 
klammern. Denn auf dem Kosovo polje, im Mittelalter 
das Grab des serbischen Reiches, war diesem nun ein frisches 
geschaufelt worden. Wer und was sollte Serbien noch 
retten?! Vergeblich hatte man auf die Hilfe des Werver- 
bandes gewartet, vergeblich war man nur Schritt für Schritt, 
unter Opfer über Opfer, zurückgewichen: Woche auf Woche 
war vergangen, die Hilfe kam nicht. Abschnitt nach Abschnitt 
des Landes, Städte und Orte, ihrer immer mehr und mehr, 
mußten aufgegeben werden, bis schließlich fast nichts an- 
deres zurückblieb, als hinter den Flüchtenden die blutigen 
Marksteine des Unterganges. 
Was Wunder, daß unter solchen Umständen selbst bei der 
Armee der Glauben an die Rettung Serbiens schwankend 
wurde. Dennoch hielt sie sich im allgemeinen noch aufrecht. 
Ja einzelne Truppen, die nicht vom jammervollen Strom 
der Flüchtenden mitgerissen wurden, werden wir sogar wieder- 
finden, mit den Verbündeten scharf die Klinge kreuzend. 
König P e t a r, der tagelang in der historischen Kirche 
vox Grakanica auf dem Kosovo polje geweilt hatte, ver- 
ließ auch jetzt nicht sein notleidendes Volk und seine er- 
schöpften Soldaten. Er war am 18. November in Pristina 
eingetroffen; eben dort, wo sich die drei Flüchtlingsströme 
seines Volkes vereint hatten. Der erste hatte sich von der 
Golijska Morava durch das Jbar- und Sitnicatal hierher 
ergossen, der zweite war von Nis über Prokuplje und Kur- 
sumlija hierher geflossen, und der dritte hatte sich von Skoplje 
und aus dem ganzen Osten des Landes herwärts gewälzt. 
Nun fluteten sie vereint gegen Süden ab. Der König, düster 
und schweigsam, mitten unter ihnen, einer unter den Aber- 
taufenden, gleich in Not, wie sie alle. Daß sie noch den Weg 
offen fanden, hatten sie, wie gesagt, jenen Tapferen zu ver- 
danken, die sich bei Kacanik, ohne Geschütze, todesverachtend 
den Bulgaren entgegengeworfen hatten. Sie schlugen sich 
wahrlich wie Helden — und fielen Hekatombe auf Heka- 
tombe. Doch das Blutopfer war nicht vergeblich gebracht: 
die anderen fanden unterdes den Weg nach Prizren. Das
	        
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