Volltext: Die Geschichte des Weltkrieges II. Band (2,1920)

Die Einkreisung ans dem Kosovo polje. 
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und berechtigte sie, beruhigt der Lösung ihrer zweifachen 
Aufgabe, dort den Serben sich vorzulegen, da die Franzosen 
festzuhalten, entgegenzusehen. Der Beweis dessen wurde 
auch gleich erbracht. So sehr nämlich die Franzosen von 
Süden her gegen sie anliefen, sie vermochten die Armee 
nicht erschüttern. Alle ihre mit beträchtlichen Kräften ge, 
führten Angriffe wurden, wenn nicht früher, so im Nah-- 
kämpf, mit dem Bajonett Brust an Brust, abgeschlagen; 
so vor Prilep, Krivolak und Strumica. Am dritten Tag 
der heißen Kämpfe, am 5. November, siegte endgültig die 
Standhaftigkeit, die Unverzagtheit und der Mut der Buk 
garen: die Offensive der Orientarmee war aufgehalten. 
Zurückflutend ließen die Franzosen viele Gefangene und un, 
gezähltes Kriegsgerät den Siegern in den Händen. Da 
konnte die sieggekrönte Armee wohl verschmerzen, daß es 
Teilen von ihr nicht gelang, über Kalkandelen gegen Westen 
durchzudringen, was wieder der Vorstoß ihres rechten Flügels 
am 5. Oktober, Schulter an Schulter mit dem linken der 
Armee, bis Leskovac reichlich wettmachte. Zwölf schwere 
Geschütze erbeutete er da und unweit davon, am Bahnhof 
von Grabovica, 10 Lokomotiven und 400 zum Teil beladene 
Eisenbahnwagen. 
Die Einkreisung auf dem Kosovo polje. 
Die Moravalinie hatten die Serben verloren. Wollten 
sie noch etwas retten, so blieb ihnen keine andere Wahl, 
als der Rückzug auf Pristina. Denn nur in der freien Tal, 
ebene des Kosovo polje stand ihnen noch die Möglichkeit 
offen, ihr Heer zu sammeln und dann zu versuchen, über die 
Linie Kakanik—Prizren auf Monastir durchzubrechen. Aller, 
dings hätte ihnen dazu die Orientarmee je eher die Hand 
reichen müssen. Doch ob so oder so, alles wies sie, wollten 
sie nicht einfach die Flinte ins Korn werfen und sich rettungs-- 
los verloren geben, darauf hin, auf Kosovo zurückzugehen 
und dort einen letzten großen Waffengang zu wagen. Wohl, 
es war ein Spiel ums Leben, und die Aussichten, die sich 
ihnen dabei eröffneten, waren sehr gering. Denn es war 
kaum anzunehmen, daß ihre zum Teil schon zerrütteten, 
von Artillerie und Munition entblößten Heereskörper selbst 
bei größter Anspannung und höchster Tapferkeit imstande 
sein würden, geschlossen und rasch genug dorthin zu gelangen, 
um noch Zeit zu finden, sich auf eine neue, gewaltige Kraft, 
probe vorzubereiten. Wie dem auch sei, so steht doch fest, 
daß dieses Ziel ins Auge gefaßt und darauf entschieden 
losgesteuert wurde. Im übrigen herrschte wohl schon ziem, 
liche Verwirrung, wenn nicht geradezu Kopflosigkeit. Zum 
mindesten war die zivile Staatsmaschine schon aus den 
Fugen geraten, und infolge davon drohte selbstverständlich 
auch die militärische Leitung aus dem Geleise zu kommen. 
Weder die Behörden, noch die Bevölkerung wußten seit 
geraumer Zeit, wo aus, wo ein. Die ursprüngliche Absicht — 
entstanden zur Zeit als der Halt im Norden und Osten 
des Landes verloren gegangen war — die Behörden teils 
nach Monastir, teils nach Pristina zu verlegen, ließ sich nicht 
verwirklichen; und da Serbien außer dem geräumten Nis 
keine Stadt mehr besaß, in der sie vereint untergebracht 
hätten werden können, mußte die Regierung in den Städtchen 
auf der Zweigbahn Stalai—Krusevac—Trstenik—Kraljevo— 
E^Lak—Wce Obdach suchen. Dieser Umzug nahm am 
18. Oktober seinen Anfang, und von diesem Tag an irrten 
alle, Zuflucht suchend, von den Städtchen in die Markt-- 
flecken, von diesen weiter in die Dörfer. Zuerst mußten 
UZice und Cacak geräumt werden, gleich darauf Kragujevac, 
aus dem auch das Armeeoberkommando nach Krusevac sich 
auf den Weg machen mußte. Dort noch gar nicht unterm 
neuen Dach warm geworden, mußten Armeeoberkommando 
und Regierung am 1. November nach Kraljevo weiterziehen — 
und mit ihnen machte sich ganz Serbien auf die Beine. Die 
Schrecken begannen: Frierende, Hungernde lagen auf allen 
Wegen ohne Unterschlupf im Regen und Kot, die Alten und 
Schwachen brachen nieder, um niemals mehr aufzustehen. 
Alle, auch die kleinsten und ärmsten Orte waren von Flücht, 
lingen überfüllt, und noch immer blieben Abertausende unter 
freiem Himmel, vermengt mit ihrem mitgetriebenen lebenden 
Hab und Gut, mit den vor Hunger brüllenden Ochsen und 
Kühen. Indes, die Armee hielt noch stand; es gab noch 
Hoffnung, daher auch die Flucht noch nicht zum wilden 
Rette,sich,wer,kann! geworden war. Arg war das Ge, 
dränge in Stalaö, wo sich Bahnmaterial, die Verpflegnngs, 
und Munitionskolonnen, kurz alles, was man aus Belgrad, 
Semendria, Valjevo, Nis und Kragujevac gerettet hatte, 
staute und darauf wartete, auf dem einzigen Bahngeleise 
gegen Süden abgeschoben zu werden. In diesem Chaos 
irrte die Masse der Flüchtlinge und der von Nord und Ost 
stets zahlreicher anlangenden verwundeten und kranken 
Soldaten umher. Jeder Eisenbahnzug, der zur Abfahrt 
bereit stand, wurde von diesen hilflosen, außer Rand und 
Band gekommenen Menschen förmlich gestürmt; ja Ver, 
zweifelte suchten selbst auf der Lokomotive sich ein Plätzchen 
zu erkämpfen. Schließlich gelang es den meisten, nach Kral, 
jevo, zum Sitze der Regierung, fortzukommen. Da gab 
es nun, nicht anders in der ganzen Umgebung, ein unbe, 
schreibliches Gewimmel. Äcker, Wiesen und Felder in der 
Ebene waren geradeso übervölkert, wie das Städtchen und 
die umliegenden Höhen. Damit wurde es auch dann nicht 
besser, als der Abfluß in das Jbartal begann. Es war der 
reinste Höllenbreughel. Als dann der Kampf sich Kral, 
jevo näherte, Truppen im Rückzüge es überschwemmten und 
Verwundete in ganzen Scharen durch seine Tore traurigen 
Einzug hielten, riß, hervorgerufen durch den schreckeinjagen, 
den Geschützdonner, allgemeine Panik ein. Hals über Kopf 
wälzte sich alles, was Beine hatte, in das Jbartal, um über 
den einzigen noch freien Weg, an Raska vorbei, nach den 
zurzeit noch weniger gefährdeten Orten, sei es Novipazar, 
sei es Mitrovica oder Pristina zu gelangen: ohne Halt und 
Erholung strömte alles in größter Verwirrung diesen ferneu 
Zielen zu. Fußgänger, Fuhrwerke, Pferde und Hornvieh 
drängten einander, inmitten einer Ochsenherde holperten 
ein, zwei Staatskarossen, kläglich anzusehen mit ihrer vom 
Straßenkot bedeckten Goldzier, über die bucklige Straße. Hinter 
ihnen gingen zu Fuß, einträchtig mit Bürgern, Handwerkern, 
Bauern und zerlumpten Soldaten, Minister und hohe Beamte. 
Nach Belgrad, nach Nis, nach Kragujevac, Krusevac 
und Kraljevo, zog nun das serbische Armeeoberkommando 
und die serbische Regierung nach Raska. Rascia, das Felsen, 
nest ober dem schmalen Jbartale, einstmals, als das serbische 
Volk auf der Balkanhalbinsel Fuß faßte, die Wiege Serbiens, 
sollte nun wieder Serbiens Herrscher und Regierung Zu, 
flucht bieten. Es bot sie ihnen nicht länger als eine kurze 
Woche, dann hieß es auch für sie, dem Flüchtlingsstrom
	        
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