Volltext: Die Geschichte des Weltkrieges II. Band (2,1920)

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Der Feldzug gegen Serbien 1915/16. 
Bei all dem Leid mußte ich über tte einfachen Worte des Burschen 
lachen. Vom Tragischen zum Lächerlichen ist eben nur ein Schritt. 
Soldaten in schlechten Opanken und größtenteils in Sommer 
(Segeltuch) Uniformen, doch jeder mit Mantel aus Kotzenstoff, über- 
holten uns. Sie taten mir leid. Beim Anblick ihres Fetzwerkes und 
der durchweichten, zerrissenen Opanken, unter welchen kaum einer 
Strümpfe anhatte, fielen mir die bewegten Skupstinadebatten dieser 
Beschuhung wegen, welche aus Rumänien für schweres Gold beschafft 
wurde, ein. Die Parteien konnten fich damals nicht überbieten, welche 
daraus größeren Vorteil ziehen könnte—und die Soldaten litten jetzt. 
Auch des gestrigen Verschleppens der warmen Militärkleider, 
Hemden, Unterhemden und Opanken erinnerte ich mich. Man war 
den ganzen Sommer über vor großer „Arbeit" nicht dazugekommen, 
diese Wäsche und Kleider rechtzeitig an das Heer zu verteilen und 
so mußten viele Soldaten dem Winterkrieg in Sommerkleidern ent- 
gegensehen. Ist es wunder zu nehmen, daß bei solcher Liederlichkeit 
der erste Mißerfolg niederschlagend auf den Geist der Soldaten wirkte. 
Nach kurzer Zeit erreichten wir wieder die vorausgegangenen 
Soldaten, die am Wege rasteten. Ihr Kommandant sah mich rauchen 
und bat um einige Streichhölzchen. Ich konnte mich nicht zurück 
halten, bei dieser Gelegenheit zu bemerken, wie mir das sonderbare 
Benehmen der Soldaten, die ihre Unzufriedenheit mit so scharfen 
Worten offen zum Ausdruck bringen, unangenehm auffällt. 
„Ach!" — meinte der Offizier — und sein Blick streifte die Stadt 
Nis, der an einzelnen Stellen dichter Rauchqualm entstieg. „Man 
braucht darob gar nicht verwundert sein. Was mußten diese armen 
Burschen erdulden! Man warf sie von einem Ende Serbiens nach 
dem anderen, ohne Schlaf, ohne warme Kleider und Schuhe, fort- 
während im Rückzüge, ihre Häuser und Familien zurücklassend! Es 
ist vielmehr ein Wunder, daß sie sich noch überhaupt halten! Ich 
glaube, wäre dies eine andere Armee, sie hätte sich schon aufgelöst. 
Wir werden aber, so hoffe ich, doch noch einen großen Teil von ihr in 
Sicherheit bringen. Nur weiß ich nicht, wie wir bei den Arnauten 
durchkommen werden, wieviele zurückkehren und ihre Familien wieder- 
sehen werden. Um aufrichtig zu sein, ich darf mich keinem in den Weg 
stellen, wenn es ihm beliebt das Gewehr wegzuwerfen und eine andere 
Richtung einzuschlagen, will ich nicht Gefahr laufen, daß sich die anderen 
dann gegen mich auflehnen." 
Als wir die Moravabrücke bei Mramor passierten, war es mir 
schon leichter, denn ich fürchtete, sie bereits zerstört zu finden. 
So oft ich mich umschaute, und so weit das Auge reichte, war 
die Straße voll von Flüchtlingen und Soldaten. Aus der Anhöhe des 
Mramor wurden zwei große Belagerungsgeschütze, je eins auf jeder 
Seite der Straße eingegraben. Unweit davon rasteten einige Batterien. 
Die Kochkessel dampften. Es sah aus, als bestünde die Absicht, in dieser 
Stellung die Bulgaren zu erwarten, denn auch Infanterie lagerte 
herum und marschierte heran. Später erfuhren wir, baß diese Be- 
lagerungsgeschütze nur einige Schüsse abgaben und auch alle andere» 
Truppen sich, als die Brücke zerstört wurde, gegen Prokuplje zurück- 
zogen." 
- Soweit unser Gewährsmann, den unsere Schilderung, 
deren Faden wir wieder aufnehmen, überholt hat. 
In Nis also, wo vorher die Mitte der serbischen, hinter 
die Binakka Morava abgedrängten Ostarmee gelegen hatte, 
war nun die Mitte der bulgarischen 1. Armee. Ihre bisher 
breite Front hatte sich durch das Einschwenken und dabei 
Zusammenrücken des rechten Flügels bedeutend verengt 
und in sich geschlossen; wo noch nicht, dort geschah es am 6. No-- 
vember, und am 7. November gelangte auch schon die Armee 
nordwestlich von Aleksinac, westlich und südwestlich von Nis 
an die Morava. Bei Leskovac, das der über Vlasotnica 
vorgebrochene linke Armeeflügel im Verein mit von Süden 
dorthin vorgerückten Truppen der 2. Armee genommen 
hatte, überschritt sie sogar den Fluß. 
Und so war denn die Sichel geschmiedet, die im Bogen 
von Ost über Nord nach West zum Schnitt der reifen Saat 
Serbien ansetzte. Ja selbst der Stiel, scharfschneidig auch 
er, fehlte der Sichel nicht: es war die bulgarische 2. Armee. 
Besetzung Mittelmazedoniens durch die bulgarische 2. Armee. 
Die der bulgarischen 2. Armee GL. T 0 d 0 r 0 w zuge-- 
falleue Aufgabe war eine dreifache: die Besetzung Mittel-- 
Mazedoniens, gemeinsames Operieren mit der Heeresgruppe 
Mackensen und die Verrammluug des Weges der eng-- 
Usch-französischen Orientarmee GL. S a r r a i l. Eigentlich 
mußte sich die Lösung der letztgenannten Aufgabe aus jener 
der erstgenannten von selbst ergeben, sobald es eben der 
Armee gelänge, Skoplje oder noch besser Veles zu erreichen, 
um da oder dort das Tal des Wardar zu sperren. Da 
jedoch auch diese, ausonst zweifelsohne richtige Rechnung, 
gleich jeder anderen einen Strich mittendurch erhalten konnte, 
erschien es verläßlicher, dem in Saloniki für die Serben sich 
sammelnden Hilfsheere unmittelbare Aufmerksamkeit zu 
widmen. Dies geschah durch die uns bekannte Detachierung 
eines Infanterieregiments nach Strumica. Viel war damit 
allerdings nicht geschehen, doch für den Augenblick war es 
immerhin genug. Legte sich das Regiment, gestützt auf das 
verteidigungsgünstige Gelände zwischen dem Wardar und 
dem Quellgebiet der Strumica, dem Feinde mit der Front 
nach Süden vor, so hatte es unbedingt gute Aussicht, eine 
Zeitlang auszuhalten. 
Die Lage auf dem südöstlichen Kriegsschauplatz in den 
ersten Oktobertagen hatte verlangt, daß die bulgarische 
2. Armee möglichst rasch vorwärts komme. Ja bei ihr war 
Schnelligkeit fast Hauptbedingung des Erfolges. Also hatte 
sie gleich am Tage der Kriegserklärung, am 14. Oktober, 
die G'enze überschritten und sich der stark befestigten Höhe 
Kitka und der nicht minder festen beim Orte Kiselica be¬ 
mächtigt. Ebenso schnell wurden die Serben bei Dramte 
und beim Carevo selo geschlagen, worauf Teile der Armee 
von hier und von Pehkevo aus gegen Kokana, von dort 
aus gegen Kriva Palanka, das sie am 16. Oktober besetzten, 
vorrückten. Am selben Tag erschien eines von den am nörd-- 
lichen Flügel detachierten Regimentern in — zum Empfange 
der Ententetruppen festlich geschmückten! — Vranje und 
unterbrach dort die Bahnlinie Skoplje—Nis. 
Der nächste Abschnitt, in dem die Bulgaren auf neuer-- 
lichen, wahrscheinlich sogar bedeutenden Widerstand zu rechnen 
hatten, war das aus dem Balkankriege bekannte, der Ver-- 
teidigung sehr günstige Gelände bei Stracin. Schachzug 
gegen Schachzug nahm jetzt die Hauptkraft der Armee gegen 
diesen Turm am Kriegsschachbrett die Vorrückung auf — 
und damit sie ihn leichter außer Gefecht setze, sollte ihn 
eine nördlich in das Tal der Pkinja entsandte Brigade von 
rechts umfassen. Doch dessen bedurfte es dann gar nicht, 
denn es ging alles einfacher, als zu erwarten stand. Die 
auf dem Fuße verfolgten Serben fanden keine Zeit sich in 
der Stracin-Stellung zu nachhaltiger Verteidigung einzu-- 
richten und wurden, als sie am 18. Oktober der rechterfeits, 
im Tal der Kriva vorgehende Teil der bulgarischen Haupt- 
kraft von der Stirnseite aus angriff, schon nach vierstündigem 
Kampfe aus der viel versprechenden Stellung hinausge-- 
worfen. Leider konnte dieser an und für sich große Erfolg 
nicht durch die Verfolgung ausgenützt werden, weil der 
linkerseits mit der Richtung auf Kocana—Kratovo vor-- 
rückende Teil der Hauptkraft in dem seine Marschrichtung
	        
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