Volltext: Die Geschichte des Weltkrieges II. Band (2,1920)

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Der Feldzug gegen Serbien 1915/16. 
Werken von Nis bedrohlich zu nähern. Noch mehr ver¬ 
düsterte sich für sie die Aussicht auf das Kommende, als 
am 4.November, ungeachtet dessen, daß es ihnen gelang, 
sich vor Lukovo wieder vorübergehend in den Sattel zu 
schwingen, nebst Nis auch ihrem anderen Sammel- und Stütz-- 
punkt an der Morava, Aleksinac, Gefahr drohte, da die im 
Moravicatal vorrückende bulgarische Gruppe schon bis vor 
Soko Banja angekommen war. Ja noch bei weitem dräuen- 
dere Wolken zogen sich noch am selben Tag ober den Serben 
zusammen, entluden sich alsbald, und das niedergehende 
Gewitter vernichtete die Nord-- und Ostfront der Feste Nis. 
Der Erfolg bei Nis verbreitete sich wie Lauffeuer entlang 
der ganzen bulgarischen Front, und wenn es für die Truppen 
irgend eines Anspornes bedurft hätte, so war diese frohe 
Kunde gewiß der wirksamste. Nun gab es für sie kein Hinder-- 
nis mehr. Der rechte, jetzt aus Südwest völlig gegen Süd 
einschwenkende Flügel der Armee brach am 5. November über 
Berg und Tal 
bis zum Kri* 
vovirski Timok 
vor und nahm 
beim Orte Kri-- 
vivir Verbin-- 
dung mit der 
deutschen Ar- 
mee; die Gruppe 
im Moravica- 
tale schritt, den 
Feind vor sich 
niederwerfend/- 
über Soko Bau-- 
ja kräftig gegen 
Aleksinac aus 
— über Nis 
aber senkte der 
Todesengel sei- 
ne Fackel: die 
Feste fiel um 
z Uhr nachmit-- 
tags. An 5000 
Gefangene, 42 
Festungsgeschütze, Tausende von Gewehren und Kisten mit 
Munition, 700 Eisenbahnwagen, die Mehrzahl mit Lebens-- 
mittel« beladen, zahlreiche Automobile, viel Sanitätsgerät, 
Hunderttausende von Soldatenwäschestücken und Uniformen, 
und vieles mehr ging den Serben in Nis verloren. Doch nicht 
bloß alt dies ging mit Nis verloren, sondern ein Mittelpunkt 
von großer militärischer, politischer und wirtschaftlicher Be-- 
deutung. Denn bei Nis vereinigt sich das von Bulgarien 
über Pirot und Bela Palanka kommende Tal der Nisava 
mit jenem der Morava, der Hauptverkehrsader Serbiens 
von Nord nach Süd, von Belgrad—Semendria nach Skoplje 
—Saloniki und umgekehrt. Überdies öffnet sich südlich 
von Nis, von Westen her einmündend, das Tal der Toplica, 
der Zugang und Aufstieg in die Berg-- und Waldlandschaft 
zwischen dem Jbar, der Golijska und Binatka Morava 
und zugleich die Verbindung nach Kursumlija, Novipazar 
und Pristina, somit nach Jnnerferbien, in den Rücken 
der Nordfront des serbischen Heeres. Außerdem verloren 
die Serben, gewannen die Verbündeten, mit Nis den wich-- 
tigsten Bahnknotenpunkt des Landes, und der Bahnstrang 
Berlin—Wien—Belgrad—Nis—Sofia—Konstantinopel stand 
nun diesen offen. Schließlich zählte für den Fortgang der 
Engpaß im Moravicatal. 
weiteren Operationen nicht wenig, daß von Nis alle wichtigen 
Straßen Nordserbiens ausstrahlen. Eins zum anderen 
genommen, steht es außer jedem Zweifel, daß bei Nis die 
Serben im Lebensnerv getroffen wurden. Betrachtet man 
anderseits Nis lediglich als Festung, so kam dieser keine 
sonderliche Bedeutung zu. Ihre hochgemauerte Zitadelle, 
angelegt 1737 von den Österreichern, noch in der Türken-- 
zeit ein Fürchtenicht, konnte es natürlich mit der Artillerie 
der Neuzeit nicht aufnehmen. Desgleichen wären ihr, würde 
es dazu gekommen sein, auch die alten bastionartigen Wälle 
der Stadt nicht gewachsen gewesen. Beachtung verdienten 
daher bloß die der Festung vorgeschobenen 9 Werke. Ursprünge 
lich zwar nur feldmäßig angelegt, wurden sie später durch 
Betonbauten verstärkt und reichlichst mit Geschützen neuester 
Art versehen, so daß sie — alle hochgelegen und mit gutem 
Schußfeld — sehr ernst zu nehmen waren. 
Wie dem auch sei, ob der Fall der Festung als solche 
viel oder wenig 
wog, entschieden 
spielte die Ein- 
nähme von Nis 
für die strate- 
gische Eutwick- 
lung des Feld- 
zuges eine aus- 
schlaggebende 
Rolle. Denn nun 
war der östliche 
Flankenschutz der 
Serben einge- 
stoßen, und den 
Bulgaren stand 
der Weg nach 
Westen offen, um 
in unmittelba- 
rem Zusammen- 
wirken mit den 
anderen Armeen 
derHeeresgruppe 
die Serben förm- 
lich einzukesseln. 
Politisch aber bedeutete Nis für die Bulgaren so ziemlich 
alles: den Gipfelpunkt ihrer Wünsche und Ansprüche. 
Wie es in Nis in letzter Zeit zuging, daraus auch, wie es 
um die Serben schon stand, erfahren wir aus den Aufzeich- 
nungen eines in serbischen Regierungskreisen gut vertrauten 
Reichsserben. 
„Jm'Oktvber langte in Nis ein Radiotelegramm ein, in welchem 
der deutsche Generalstab mitteilte, daß an der unteren Donau die 
Verbindung mit den Bulgaren gefunden wurde. Nun konnten sich 
die Serben freuen! Auch den eingefleischtesten Optimisten mußte 
es jetzt klar wie die Sonne sein, daß jede Hoffnung auszugeben sei. 
Und doch fanden sich noch Leute, welche auf Kommando die Lüge ins 
Volk streuteu, die Russen, Franzosen und Engländer hätten zu Gunsten 
Serbiens eine weitgehende Offensive unternommen, die Italiener 
hätten große Truppenkontingente bei San Giovanni di Medua 
und irgendwo in Dalmatien gelandet. Diese Lüge zündete aber nicht 
mehr. Ernste Leute schüttelten nur den Kopf und trachteten aus 
Nis fortzukommen, was ja auch schon die Regierung tat, indem sie 
nach Kraljevo übersiedelte, um dann, wenn es sein müßte (sie hoffte 
noch immer auf etwas!), über Raska nach Mtrovica zu gelangen. 
Selbstverständlich ging mit der Regierung auch ein großer Teil der 
Ministerbeamten, die Nötigen und Unnötigen. Es gab lächerliche 
und ekelerregende Szenen. Starke Parteigenossen und einflußreiche
	        
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