Volltext: Die Geschichte des Weltkrieges II. Band (2,1920)

Grauen und Angst geschüttelt. 
Unermeßlich waren die Ver-- 
luste an Menschenleben. Selbst 
nur jene Verluste, die nach 
neutralen und den Serben 
wohlgesinnten Berichten be- 
kannt wurden, bezifferten sich 
auf über Hunderttausend. Da 
fühlte sich der Vierverband, 
auch schon deshalb, weil es 
um seinen eigenen Vorteil 
ging, bewogen, ausgiebig zu 
helfen. Von England, Rußland 
und Frankreich wurden Ärzte, 
Pflegerinnen, Sanitätsmate- 
rial, Lebensmittel, Kohlen und 
Geld gesandt — doch all dies 
kam erst spät zur Stelle, und 
es dauerte noch lange Wochen, 
bis es gelang, den tückischen 
Feind Seuche niederzuringen. 
Und so warf der Winter 
1914/15, der für Serbien eine 
Zeit der Kräftesammlung hätte 
werden sollen, das Land auf 
ein schweres Krankenlager, 
auf dem ein namhafter Teil 
seiner Kraft dahinsiechte. 
kam, weil sie kommen mußte, weil die Einrichtung der ser- In den nächsten Monaten, die dem Rückzug der öster- 
bischen vollgepfropften Spitäler den sanitären Anforde-- reichisch-ungarischen Streitmacht aus Belgrad folgten, in 
rungen nicht entsprach. In ihnen fand die Seuche, welche jenen für. Serbien schicksalschweren Monden, während welchen 
namentlich in Gestalt des Flecktyphus dem Sensenmann die die Seuche an Saft und Mark seines Heeres und Volkes 
Ernte vorbereitete, einen wohlbestellten Herd. Auch zu uns zehrte, war Serbien mehr oder minder lahmgelegt, und da 
kam, eingeschleppt von den serbischen Gefangenen, der auch die österreichisch-ungarischen Balkanstreitkräfte der Er- 
Flecktyphus als furchtbarer Gast herüber, doch bei uns fand holung bedurften, überdies im Jänner ein großer Teil der 
er kein Heim, und es erwürgte ihn bald der Griff der medi- Streitkräfte in die Karpathen zum dortigen schweren Ringen 
zwischen Umsicht und sanitären Vorkehrungen. Anders in abging, so herrschte auf dem südöstlichen Kriegsschauplatz 
Serbien: dort raste die Seuche wie ein einziger Brand über fast völlige Ruhe. Die Serben hielten Ruhe, weil sie es 
das ganze Land. Ausgebrochen war sie in Valjevo, wo das mußten, die Ssterreicher-Ungarn deshalb, weil sich GdJ. 
serbische Heer zusammengedrängt mit Tausenden von Ver- Erzherzog Eugen, der an Stelle des FZM. P 0 t i 0 r e k 
wundeten inmitten der schlecht begrabenen Leichen und ver-- das Kommando der Balkanstreitkräfte übernommen hatte, 
scharrten Kadaver hauste, und seine durch Anstrengungen in richtiger Erfassung der Sachlage streng auf die Verteidi- 
sowie Entbehrungen verminderte Widerstandskraft ihr das gung beschränkte; ja bald sogar auf bloße Grenzwacht, auf 
Vernichtungswerk erleichterte. Nun floh von dort, Rettung einen dünnen Abwehrkordon entlang der langgedehnten Front, 
suchend, wer nur fliehen konnte. Jedoch, mit Ungeziefer Wohl, auf der Bärenhaut liegen durften die braven 
besät, wie diese Flüchtlinge waren, retteten sie sich nicht, Landsturmbataillone, welche die Grenzwacht hielten, nicht, 
sondern trugen nur, selbst dem Tode geweiht, die töd- denn trotz allen sie hemmenden Elends und Jammers in 
lichen Keime über das ganze Land, und binnen kurzem war ihrem Lande, rafften sich die Serben doch ab und zu auf oder 
keine Stadt, kein Dorf in Alt- und Neuserbien, das von gaben sich wenigstens den Anschein einer Rüstigkeit und 
der Seuche nicht erfaßt war, wo nicht Kranke in Schmutz Tatkraft. Ernst war es ihnen aber — man fühlte es — 
der Straße umkamen, wo sie auch zumeist unbeerdigt liegen kaum darum zu tun. Daher kam es auch, obwohl die 
blieben. Was in diesen Monaten in Serbien geschah ist beiderseitige Front nur durch die Flußbette von einander 
grauenhaft. Die Spitäler waren bis zum Rande gefüllt, getrennt war, bloß zu gelegentlichen Kanonaden und belang- 
Hunderte von Kranken irrten aber hilflos umher, um losen Geplänkeln. Ein wechselvoller Kleinkrieg war es, der 
schließlich irgendwo elend den Tod zu finden. NiS, die sich hauptsächlich auf den dichtbewaldeten Donauinseln ab- 
von Flüchtlingen gedrängt volle neue Landeshauptstadt, spielte, die Gelegenheit genug zu kühnen Unternehmungen 
verlor tausend Menschen im Tage — und jene, die hier und nächtlichen Überfällen von dies- und jenseits boten, 
dem Unheil hätten wehren sollen, die Ärzte, fielen als erste Blutige Scharmützel waren es, die einmal dem, das andere 
dem Würgengel zum Opfer, die Wärterinnen flohen oder Mal jenem mehr Opfer kosteten; im großen und ganzen aber 
gingen zu Grunde; ganz Serbien war zu einer Stätte des für die Serben verlustreicher waren. Schon deshalb, weil es 
Elends geworden, war ein einziges gewaltiges, von ihnen an wachsamen Monitoren und flinken Patrouillenbooten 
halbverhungerten Menschen erfülltes Krankenlager: das fehlte, wie solche unserer Grenzwacht zur Seite standen und 
ganze Land von einem bis zum anderen Ende war von sie des öfteren mit Erfolg unterstützten. Natürlich unter- 
Der Feldjng gegen Serbien 1915/16. 
Friedhof der Namenlosen.
	        
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