Volltext: Die Geschichte des Weltkrieges II. Band (2,1920)

410 Seekrieg 
Monat früher einen beträchtlichen Erfolg erzielt haben. 
Dies war die Meinung aller. Aber sowohl die Moral als 
auch die Stärke der Türken hatte Zeit gehabt, sich zu kräftigen, 
feit unseren letzten ernsthaften Gefechten mit ihnen am 21. 
und 28. Juni und am 18. Juli. An jenen Tagen hatten alle 
Grade gefühlt, wie es jede Armee doch instinktiv mit Sicherheit 
empfindet, daß sie die Oberhand über den Feind erlangt hatten 
und daß sie, die Mittel vorausgesetzt, beständig vorgehen 
könnten. Jetzt aber leistete der damals halbgeschlagene Feind 
einen ebenso starken Widerstand, wie er ihn unserer ersten 
Landung entgegensetzte. 
In der Nacht vom 4., 5. und 6. August wurden die Ver¬ 
stärkungen ?n Anzac (Ari Bnrnu) in aller Stille während 
der dunkelsten Stunden gelandet, und ebenso sicher wurden 
sie unbemerkt von den feindlichen Flugzeugen und Beob- 
achtungsposten in ihren vorbereiteten vorborgenen Plätzen 
untergebracht. Der ganze Seeweg lag den Blicken der Türken 
ausgesetzt. Flugzeuge hätten jedes Zelt und jedes Schiff 
in Mndros oder Jmbros zählen können. Die feindlichen 
Stellungen bei Anzac waren nicht mehr als 20 Fuß von 
unseren gegenüberliegenden Linien entfernt. Alle modernen 
Hilfsmittel wie Teleskope, drahtlose Telegraphie, standen zur 
Verfügung des Feindes. Jedoch die im Hauptquartier bis in 
die kleinsten Einzelheiten ausgearbeiteten Instruktionen waren 
derartig, daß der Plan ohne Hindernisse durchgeführt wurde. 
Die Truppen, die nun zur Verfügung des Generals 
Birdw 0 0 d standen, betrugen in runden Ziffern 37000 
Gewehre und 72 Geschütze. Dazu kam die Seeunterstützung 
von zwei Kreuzern, vier Monitoren und zwei Zerstörern. Im 
Plan waren diese Truppen in zwei Hauptgruppen geschieden. 
Die Aufgabe, die Anzacstellung zu nehmen und von dort 
Frontalangriffe zu unternehmen, war der australischen 
Division, zuzüglich der ersten und dritten Light--Horsebrigade 
und zwei Bataillonen der 40. Brigade, diejenige des Angriffes 
auf Tschunuk Bair war der neuseeländischen Division, 
der 13. Division, der 29. Jnfanteriebrigade und der indischen 
Gebirgsartillerie anvertraut worden. Die 29. Brigade der 
10. Division und die 38. Brigade wurden in Reserve gehalten. 
Das Unternehmen begann um 4 Uhr 30 Minuten mit 
einer schweren und langen Beschießung des Lone Pine 
und der angrenzenden Stellungen. S. M. S. „Bachante" 
wirkte mit, indem es die nordöstlichen und östlichen Teile 
unter Feuer nahm, und die Monitore beschossen die feinde 
lichen Batterien im Süden von Kaba Tepe. Der Angriff 
war der ersten australischen Brigade übertragen worden, 
und pünktlich um 5 Uhr 30 Minuten nachmittags wurde 
er durch das 2., 3. und 4. australische Bataillon vor-- 
getragen, während das erste Bataillon in Reserve blieb. 
Zwei Glieder verließen gleichzeitig ihre Schützengräben, dicht 
anschließend folgte ihnen ein drittes. Der Sturm über das 
offene Feld war ein regelrechter Wettlauf mit dem Tode, 
in Gestalt eines Hagels von Granaten und Gewehrgeschossen, 
sowohl von der Front wie von jeder Flanke, aber die Australier 
waren fest entschlossen, die feindlichen Schützengräben zu 
erreichen, und dieser Entschluß machte sie für den Augenblick 
unbesiegbar. Das Gewirr der Stacheldrähte wurde erreicht 
und überwunden. Dann kam der schreckliche Augenblick, wo 
es dennoch schien, als wenn es physisch unmöglich wäre, die 
Schützengräben zu nehmen. Ihre Bedachung aus starken 
Fichtenbalken widerstand allen Anstrengungen, und die 
Geschütze fuhren fort, Feuer zu speien. Gruppen unserer 
Leute hoben dann wirklich die Balken ab, und einzelne 
Soldaten liefen in die halbdunklen Gänge mitten unter die 
1915/16. 
Türken^ hinein. Um 5 Uhr 47 Minuten nachmittags waren 
das dritte und vierte Bataillon in die feindlichen Zentren 
gedrungen, und einige Minuten später rückte die Reserve des 
zweiten Bataillons in ihre Rückenstellungen; indem sie die 
Besatzungen vertrieben, töteten oder gefangennahmen, be- 
setzten sie die gesamten Stellungen. Die Reservekompagnien 
des 3. und 4. Bataillons folgten, und um 6 Uhr 20 Minuten 
nachmittags wurde das erste Bataillon vorgeschoben, um die 
Stellung zu verstärken. 
Bald wurde es jedoch klar, daß die Türken nicht die Absicht 
hatten, sich in die Fortnahme ihres Hauptwerkes zu fügen. 
Um 7 Uhr begann ein heftiger und entschiedener Gegenangriff 
vom Norden und Süden. Woge auf Woge warf der Feind 
mit dem Bajonett heran. Hier und dort zerstörte eine wohl- 
gezielte Salve von Bomben einen Abschnitt eines Grabens, 
aber stets wurde die Lücke durch die Geistesgegenwart der 
Offiziere und die heldenmütige Tapferkeit der Leute schnell 
wieder ausgefüllt. Der Feind ließ nur eine kleine Pause 
eintreten. Um 1 Uhr 30 Min. brach die Schlacht von neuem 
los. Starke türkische Streitkräfte schwärmten gegen die 
Schützengräben, von einem Bombenhagel begleitet. Sieben 
Stunden lang dauerten diese Gegenangriffe an; indem sie 
diese verzweifelten Angriffe zurückschlugen, hatten die Australier 
sehr schwere Verluste zu ertragen. Zwölf Stunden später, 
um 1 Uhr 30Minuten nachmittags am 7. August, wurden 
erneute Anstrengungen vom Feinde gemacht, die ununter- 
brochen bis 5 Uhr nachmittags währten, dann um Mitternacht 
fortgesetzt wurden und in Zwischenräumen bis zur Morgen- 
dämmerung andauerten. In einem früheren Zeitpunkt 
dieses letzten Gegenangriffes wurde das 4. Bataillon ge- 
zwuugen, einen Abschnitt des Grabens zu räumen, aber 
später töteten sie, geführt von ihrem Kommandanten, Obstlt. 
M c. Naghten, alle Türken, die dorthin eingedrungen 
waren. Während des 8. August wurde aus dem gänzlichen 
Aufhören des feindlichen Feuers durch Verbesserung der 
Stellung Vorteil gezogen. Das zweite Bataillon, das 
seinen Befehlshaber verloren und besonders schwer gelitten 
hatte, wurde zurückgenommen und durch das 7. Bataillon, 
die Reserve der 2. Jnfanteriebrigade, ersetzt. Am 9. August 
vormittags 8 Uhr machte der Feind einen plötzlichen Versuch, 
nach einem Scheinangriff von Norden, Osten und Südosten 
aus unsere Stellung zu erstürmen. Das 7. Bataillon hielt 
den Stoß auf und schlug den Angriff so kräftig zurück, daß um 
7 Uhr 45 Minuten morgens beim Feinde deutliche Zeichen 
der Demoralisation sichtbar wurden. Doch obgleich diese 
das Ende der Gegenangriffe kennzeichnete: die Beschießung 
dauerte, wenn auch mit geringerer Heftigkeit, den ganzen Tag 
und die ganze Nacht hindurch an und währte bis zum 12. Au-- 
gust, wo es schließlich Tatsache wurde, daß wir vollständig 
die Oberhand behalten hatten. Während des letzten großen 
Sturmes waren unsere durch Artilleriefeuer verursachten 
Verluste schwer, und selbst seitdem die Stellung in unsere 
Hände gelangt war, ist sie ein Lieblingsziel schwerer Bomben 
und Granaten Tag und Nacht gewesen. 
So wurde Lone Pine genommen und gehalten. Andere 
Frontangriffe von den Anzacstellungen aus waren nicht so 
erfolgreich. Sie erfüllten ihre Aufgabe insoweit, daß sie den 
Feind verhinderten, Verstärkungen gegen die auf die Höhe 
gerichteten Angriffe heranzuziehen. Einige der Werke wurden 
genommen, aber des Feindes verborgene Maschinengewehre 
machten es unmöglich, sie zu halten. 
Die Dämmerung brach herein, und der Kamm der Linie 
war noch nicht in unserer Hand, obgleich, alle Umstände
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.