Volltext: Die Geschichte des Weltkrieges II. Band (2,1920)

390 Seekrieg 
tatsächlich amerikanische Bürger ums Leben gekommen sind, 
so traf die Schuld hier allein den englischen Kapitän und 
die englische Regierung, die ein derartiges dem Völkerrecht 
widersprechendes Verhalten nicht nur guthießen, sondern 
die Besatzungen solcher Schiffe obendrein belohnten, wie 
z. B. der Fall des „L a e r t e s" bewiesen hat. 
Sehr treffend charakterisierte General v. Moltke diesen 
Rechtsstreit. Er sagte zu einem Amerikaner: „Ich bin kein 
Diplomat, aber als Soldat sehe ich nicht ein, warum Kriegs- 
zonen nur auf dem Land, und nicht auch auf der See an-- 
erkannt werden. Wenn einige neutrale Nichtkombattanten 
so verrückt wären, inmitten der militärischen Operationen 
ein Schlachtfeld zu durchqueren, indem sie auf einem feinde 
lichen Munitionswagen führen, so würben sie sich der Gefahr 
der Beschießung aussetzen, ganz gleich, welches ihre Nationali-- 
tät, ihr Alter oder Geschlecht wäre. Ihre amerikanischen Mit-- 
bürger, die zur Überfahrt die „Lusitani a" und „A r- 
m e n i a n" wählten, und zwar trotz unserer öffentlichen 
Warnungen, die Kriegszone auf feindlichen Schiffen zu durch-- 
fahren, und trotzdem Kriegsmaterial an Bord war, riskierten 
einfach den Tod. Wir können ebensowenig unser Beginnen, 
solche feindliche Munitionstransporte zur See zu zerstören, 
aufgeben, wie wir zu Lande darauf verzichten könnten, einen 
feindlichen Munitionszug, auf dem sich einige unvorsichtige 
Neutrale befinden, zu vernichten, wenn unsere Kanonen 
ihn unter Feuer nehmen könnten. Wenn die Amerikaner 
auf ihren eigenen Schiffen fahren, wenn sie dafür sorgen, 
daß ihre Flagge nicht von einer kriegführenden Partei miß-- 
braucht wird, dann werden sie vor Angriffen unserer Unter-- 
seebooke ebenso sicher sein, wie in ihrem eigenen Lande. 
Ein amerikanisches Schiff ist amerikanischer Boden auf See, 
ein englisches Schiff ist englischer Boden, und gegen England 
führen wir eben Krieg." Daraufhin beruhigten sich die Ameri- 
kaner, da übrigens bekannt wurde, daß ein deutsches U-Boot 
bald nach Untergang des Dampfers „Arabi c"zum Sinken 
gebracht worden war. Das aufgetauchte Unterseeboot 
soll im Begriffe gewesen sein, einen von N e w-O rleans 
nach Liverpool unterwegs befindlichen Dampfer, der 
Maultiere geladen hatte, anzuhalten und durch Geschütz- 
feuer zu versenken, als der bis dahin durch den Dampfer 
der Sicht entzogene Zerstörer seiner Begleitung herbei- 
eilte, und das Unterseeboot durch Geschützfeuer versenkte, 
bevor das Boot tauchen konnte. 
Am z. August erhielt die Welt aus Cuxhaven von 
der merkwürdigsten und kühnsten Seemannstat Kunde, 
die in diesem an Sensationen wahrlich nicht armen See-- 
kriege zu verzeichnen war. Die Meldung lautete: 
„Heute morgen wurde das amerikanische Vollschiff 
„Paß ofBalmaha" durch einen Unteroffizier eines 
deutschen Unterseebootes, das diesen nördlich von Schottland 
als Prisenbesatzung an Bord gesandt hatte, hier eingebracht. 
Als der Unteroffizier während der Fahrt einmal schlief, 
nahm der Kapitän des Vollschisses, das mit Baumwolle 
beladen, nach Archangelsk bestimmt war, sofort Kurs nach 
der englischen Küste, doch wurde er durch den Unteroffizier 
alsbald gezwungen wieder umzukehren. Nach dem Einlaufen 
in Cuxhaven stellte es sich heraus, daß das Schiff 
auch eine Prisenbesatzung von einem eng-- 
lischen Offizier uud4 Mann an Bord hatte, 
als der deutsche Unteroffizier sich einschiffte. Die englische 
Prisenbesatzung zog es jedoch vor, sich vor diesem einen 
deutschen Unteroffizier in einem der untersten Räume zu 
verbergen. Sie wurde erst in Cuxhaven dort aufgefunden." 
1915/16. 
Als diese Meldung eintraf, glaubte man zuerst an eine 
Mystifikation, denn es erschien unbegreiflich, daß es einem 
einzigen Unteroffizier als „Prisenbesatzung" hätte geglückt 
sein können, ein Vollschiff von hoher See mit stattlicher Be- 
mannung, auf dem sich überdies noch eine englische Prisen- 
besatzung befand — nach der Elbemündung einzubringen. 
Einen höchst bemerkenswerten Fall unter den alltäglichen 
Versenkungen bildete im August 1915 die Torpedierung des 
britischen Dampfers „Ni cofian" auf seiner Fahrt von 
New-Orleans nach Avonmouth. Er hatte etwa 
250 Maultiere für Kriegszwecke an Bord, war also mit 
Kontrebande geladen. Am 19. August wurde der Dampfer 
etwa 70 Seemeilen südlich Queenstown (Irland) 
von einem deutschen Unterseeboote angehalten und be- 
schössen, nachdem zuvor die gesamte Mannschaft das Schiff 
auf Rettungsbooten verlassen hatte. Als die Leute auf 
den Rettungsbooten außerhalb der Feuerlinie des Unter- 
feebootes angelangt waren, näherte sich dem Schauplatz ein 
anderer Dampfer, den man später als den britischen Hilfs- 
kreuzer „Baral 0 ng" agnoszierte. Beim Näherkommen 
dieses Dampfers erkannte man deutlich, daß er am Heck 
die amerikanische Flagge führte und daß an den 
Seitenwänden große Holzschilder mit darauf gemalter 
amerikanischer Flagge angebracht waren. 
> Da der Dampfer die Abzeichen eines neutralen Staates 
trug und Signale gesetzt hatte, die bedeuteten, daß er aus 
Wunsch Hilfe leisten wolle, dazu sein Äußeres durch nichts 
seinen kriegerischen Charakter verriet, nahm sowohl die 
in den Rettungsbooten befindliche Mannschaft der „Ni c 0- 
s i a n", als auch der Kommandant des deutschen U-Bootes 
an, daß er sich lediglich mit der Rettung der Schiffbrüchigen 
befassen werde. Während nun das Unterseeboot die Back- 
bordseite der „N i c 0 s i a n" aus nächster Nähe beschoß um 
ihn zu versenken, kam der fremde Dampfer hinter diesem 
hervor und bog um dessen Steuerbordseite herum. Als 
er ein wenig über den Bug der „N i c 0 s i a n" hinaus war, 
wurde von seiner Bemannung auf das Unterseeboot ge- 
schössen, und zwar zuerst mit Handfeuerwaffen, unmittelbar 
darauf auch aus Geschützen, die bis dahin durch Schutz- 
wände verdeckt, erst nach deren Abklappen sichtbar wurden. 
Hiebei wurden mehrere Deutsche auf dem Tauchboot ge- 
troffen. Das havarierte Tauchboot sank dann langsam unter, 
dessen Mannschaft stand zuletzt bis zu den Hüften im Wasser. 
Elf Mann, darunter der Kommandant, sprangen dann ins 
Wasser und schwammen auf die „Nico sian" zu; fünf er- 
reichten sie, die anderen sechs hielten sich an den herabgelassenen 
Tauen fest. Inzwischen erreichten alle Boote der „N i c 0 s i a n" 
den „Baralong" und die Geretteten-gingen an Bord. 
Der Kommandant des „Baralong" befahl nun feinen 
Leuten, sich in einer Reihe an der Reeling aufzustellen. Sie 
begannen das Feuer, und alle sechs schwimmenden deutschen 
Matrosen wurden kalten Blutes erschossen. Durch diese un- 
glaubliche Handlungsweise, die begreiflicherweise im ganzen 
DeutfchenReiche einen einzigen Schrei der Entrüstung 
über die britischen Seeleute hervorgerufen hat, mußte der 
Haß natürlich noch mehr vertieft und entflammt werden, 
wobei es natürlich nicht zur Beruhigung beitrug, daß man 
in England das Verhalten des „Baralong"-Kapitäns gar 
noch billigte. 
Die reichsdeutsche Presse gab dem begründeten Ver- 
dacht Ausdruck, daß die beispiellose Mordtat die Folge einer 
allgemeinen Anordnung der britischen Marineleitung, be- 
ziehungsweise der englischen Regierung sei, und erinnerte
	        
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