Volltext: Die Geschichte des Weltkrieges II. Band (2,1920)

366 Seekrieg 
Schiffbruch litt. Sie bombardierten Kirchen und Klöster, 
ohne Rücksicht ob aus militärischer Notwendigkeit oder mut* 
williger Zerstörungslust. Ihnen galt die Genfer Flagge des 
Görzer Spitals nicht als Bezeichnung einer Freistatt für 
hilflose Verwundete beider Parteien, sondern als bequemer 
Zielpunkt für ihre Kanoniere. Ihre Piloten warfen Bomben 
wahllos auf offene Städte und scherten sich wenig darum, ob 
Frauen und Kinder unerlöster Volksgenossen oder Künste 
schätze und Schlösser oder Privatgebäude dadurch zu Schaden 
kamen. Nun aber, da unter zahllosen Bomben, die auf die 
militärischen Objekte der Festung Venedig niedergingen, eine 
knapp daneben sauste und Fresken von T i e p o l o beschädigte, 
erheben die italienischen Blätter ein Zetergeschrei gegen die 
„Barbaren", sie scheinen der sonderbaren Ansicht zu sein, daß 
Italien, da es uns den Krieg erklärte, wohl berechtigt sei, 
uns jeden Schaden zuzufügen, nicht aber wir ihm. Die Wut 
ist groß, daß wir „Barbaren" uns herausnehmen, gleich den 
in den Farben aller Menschenrassen schillernden Streitern 
der Kulturnationen den Krieg als ein Ringen mit Gegend 
seitigkeit auffassen. Zur Ehre menschlicher Vernunft mag 
zugegeben werden, daß die Italiener nur Entrüstung heucheln, 
um auf das sich nie verleugnende Gemüt der „Barbaren" 
zu spekulieren, denen Kunstschätze stets ein heilig Gut waren. 
Es möchte ihnen passen, daß w i r in Zukunft ihre militärischen 
Rüstungsstätten aus Besorgnis, durch Fehltreffer Kunst- 
schätze zu beschädigen, ungeschoren ließen. Diese Centimen- 
talität haben aber uns die Feinde gründlich abgewöhnt, 
indem sie in diesem uns aufgezwungenen Kampfe vor keinem 
Mittel zurückschrecken, das uns ihrer Meinung nach irgend-- 
wie schaden könnte. Sie haben uns erst die volle Bedeutung 
des Bibelwortes „A u 9' um Aug', Zahn um Zahn" 
klar gemacht. Jener Feind aber, der sich zuerst der Bundes-- 
Pflicht entzog, um in scheinbar kritischer Stunde die 
trügerische Maske gänzlich abzuwerfen und uns unversehens 
in den Rücken zu fallen, der hat das Recht auf 
jegliche Rücksichtnahme verwirkt! Wir 
haben das Land, das solch einen Reichtum an Kunstschätzen 
birgt, nicht in den Krieg hineingezogen, wir müssen daher 
jede Verantwortung ablehnen, wenn ihm daraus durch uns 
Schaden erwächst. Wir empfinden den ideellen Verlust, der 
die ganze gesittete Welt durch die Vernichtung von Kunst- 
werten trifft, selbst recht schmerzlich, doch wird der Schmerz 
durch die Tatsachen gemildert, daß ein solcher Feind ma-- 
Miellen Schaden erleidet, wenn ihm das Erbe nach großen 
Vorfahren durch die Kriegsereignisse geschmälert wird, ein 
Erbe, das ihm weniger aus Kunstbegeisterung, denn als 
ergiebigeEinnahmquellefür den Fremden- 
verkehr und als Fremdenanlockungsmittel 
lieb und teuer ist. Das Zetergeschrei der italienischen Presse 
verrät, wie empfindlich die stets gut rechnenden Italiener durch 
die geringste Schmälerung ihrer Fremdenindustrie betroffen 
werden. Hoffentlich weist dies unseren Soldaten den Weg, 
den Angriffen der Italiener auf unsere offenen Orte von nun 
an ein Paroli zu bieten. Unsere Frauen und Kinder, die hilf- 
losen Verwundeten, sind uns weitaus teurer, als leblose 
Kunstwerke von noch so hohem Werte. Mag sich die empfind- 
same Welt über die „Barbaren" entrüsten, wenn sie die ge- 
bührende Antwort auf Freveltaten nicht schuldig bleiben." 
Wie man übrigens im neutralen Auslande über der- 
artige „Entrüstungskundgebungen" dachte, beweist treffend 
folgender Aufsatz im schwedischen „Ekstrabladet": 
„Krieg ist Krieg, und man hat sich in Wien mit Recht dagegen 
verwahrt, daß die Italiener, die ja die Angreifen- 
1915/16. 
den sind, die merkwürdige Anschauung hegen, daß sie 
allein berechtigt seien, den Österreichern jeden Schaden zu- 
zufügen, während sie selbst das Recht hätten, „Barbaren" 
zu schreien, so oft ein Loch in einem Kirchendach entsteht. 
Natürlich können Kunstwerke in einer befestigten Stadt wie 
Venedig nicht geschont werden. Wenn der Feind hierauf 
Rücksicht nähme, wäre der Krieg vollständig lächerlich. Anders 
stellt sich die Sache, wenn es sich um eine offene unbefestigte 
Stadt handeln würde, wie dies zu Triest der Fall ist." 
Inzwischen aber nahmen die Dinge ihren Verlauf, die 
sich immer ungünstiger für die italienischen Interessen ge- 
stalteten, denn immer rücksichtsloser und heftiger wurde der 
Druck der Verbündeten, um Italien in das Balkanabenteuer 
hineinzureißen, dem man selbst trotz eminent gefährdeter 
Interessen in Albanien fernbleiben mußte, weil unsere 
tapfere Süd westarmee das ganze italienische Heer band. Die 
dringende Forderung wegen Teilnahme an der Balkan- 
expedition gab in der Ententepresse bald zu nachdrücklichen 
Betonungen der Pflichten Italiens gegenüber seinen Bundes- 
genossen Anlaß, und zwar auch dann noch, als die Regierung 
es glatt abgelehnt hatte, Truppen nach Saloniki zu 
schicken. Schließlich hat man sich in Rom dann doch ent- 
schlössen, eine Division nach V a l 0 n a zu entsenden, aber 
nicht etwa um den bedrängten Serben zu helfen, sondern 
lediglich um das bedrohte Valona nicht preisgeben zu 
müssen, welcher Schritt daher im Lager der Bundesgenossen 
nur sehr geteilte Befriedigung ausgelöst hat. Auf der Eon- 
sulta suchte man dann aus der Not eine Tugend zu machen 
und die Expedition nach Valona, die in Wirklichkeit lediglich 
dem Schutze der italienischen Interessen zu dienen hatte, als 
eine aktive Teilnahme Italiens an der Hilfsaktion der Ver- 
bündeten für Serbien ganz gehörig herauszustreichen. 
Alle Bemühungen, die italienische Regierung zu weite- 
rem Nachgeben zu bringen, scheiterten an der Weigerung 
Cadornas, Italiens höchster militärischer Autorität. Als 
sich auch die Einschüchterungsversuche der Presse als aus- 
sichtslos erwiesen, wurden auch die wieder eingestellt, und so 
kehrte man denn zu dem alte«, bewährten Mittel zurück, das 
schon einmal seine Wirkung auf König und Regierung und 
Volksvertretung nicht versagt hat. Vor allem wurde in jenen 
italienischen Blättern, von denen man weiß, daß sie die Sprach- 
röhre, die gekauften Organe Barröresund Renell R 0 d d s 
sind, ein scharfer Feldzug geführt, der in der Forderung 
gipfelte, Italien müsse seinen Sonderstandpunkt aufgeben. 
Dagegen wendete der italienische Marinegeneralstab ein, 
daß als Ausschiffungshäfen für ein starkes Landungskorps 
nur Durazzo, San Giovanni di Medua und 
A n t i v a r i in Betracht kommen würden. Keiner von ihnen 
besitzt Kais oder irgend welche Verladungsvorrichtungen, 
außerdem sind es nahezu offene Reeden, die der um diese 
Zeit oft tagelang wütenden Bora ausgesetzt sind. Valona, 
der einzige gesicherte Hafen Albaniens liegt zu weit süd- 
lich. Von Dur a z z 0 aus käme nur das Tal des Sku mbi, 
durch das über El b a ssa n ein Saumpfad nach O ch r i d a 
führt, in Betracht. Von Straßen sei hier keine Rede, 
und die Gegend von O ch r i d a dürfte längst in den Händen 
der Bulgaren sein, wenn die Italiener dort anlangen. Außer- 
dem ist es im höchsten Grade unwahrscheinlich, daß die 
Albaner so hochwillkommene Beute, wie Munition und 
Lebensmittel, über ihr Gebiet ziehen lassen würden, ohne zum 
mindesten den kräftigen Versuch zu machen, sich ihrer zu 
bemächtigen. Diese Argumentation war richtig. Denn die 
Straße von San Giovannidi Medua über Sku-
	        
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