Volltext: Die Geschichte des Weltkrieges II. Band (2,1920)

236 Der Krieg 
von Folgaria und Lavarone werden immer mehr aus- 
gebaut, so daß man mit Fug und Recht sagen kann, daß 
das ganze Gebirgsland zwischen dem Etschtal und dem 
Suganatal eine einzige zusammenhängende Festung bildet, 
zu deren Einnahme es einer überlegenen, kühnen und 
todesmutigen Angriffsgruppe bedürfte. Alle Mittel der 
Technik werden angewendet, um diesen Riesenigel, der 
seine Stacheln nach allen Seiten zur Abwehr ausstreckt, zu 
verstärken. Was aber das Wichtigste ist: diese ausgedehnte 
natürliche und durch alle Mittel der technischen Kunst zu 
einer starken Sperrbefestigung ausgebaute Hindernislinie 
ist bewehrt mit zielsicheren, todverachtenden, kaltblütigen 
Schützen, die auf den Augenblick brennen, wo sie den anlau- 
senden Feind mit Feuer empfangen können, oder wo es ihnen 
vergönnt ist, selbst zum Angriff überzugehen und sich auf den 
Feind zu stürzen mit demselben flammenden Zorn und der-- 
selben wilden Wucht, wie es die Kämpfer von 1809 getan 
haben, deren Heldentaten heute widerklingen in Mund 
und Herzen von jung und alt im heiligen Land Tirol." 
Und gerade hier hatten die Italiener aufs sicherste darauf 
gerechnet, gleich in den ersten Tagen des Krieges gegen Trient 
durchstoßen zu können. Es war bei ihnen die Überzeugung 
verbreitet, daß zur Zerstörung jedes unserer dortigen Werke 
nicht mehr als zwei Stunden schweren Feuers nötig seien. 
Schon am 25. Mai eröffneten ihre Werke die bis zum 30. 
nahezu ununterbrochen fortgesetzte, mit reichlichstem Muni- 
tionsverbrauch durchgeführte Beschießung unserer Forts und 
Stützpunkte aus den schweren 28 Zentimeter-Mörsern und 
149 Millimeter-Haubitzen. Die Hauptstellungen, aus denen 
die italienische Artillerie zu wirken suchte, waren die Forts 
Campolongo, Campomolon, das von uns bald übel zer- 
schössen war, der breite Rücken Laste alte und der Monte 
Toraro. Die Wirkungen des Bombardements standen in 
keinem Verhältnis zu dem Munitionsaufwand; es gab 
mancherlei Treffer (einzelne Forts bekamen bis zu 5000!), 
aber die Italiener konnten nirgends herankommen. Be¬ 
sonder stark wurden unsere im nordöstlichen Teil des Ab¬ 
schnittes Lavarone bei Luserna und Vezzena errichteten 
Befestigungen unter Feuer genommen. Gegen ein einzelnes 
Werk dieser Gruppe wurden über 2000 Schuß aus schwerstem 
Geschütz abgegeben. Die Spuren der Beschießung waren 
äußerlich sichtbar im Fels und im Beton. Nach fünft 
tägiger Artillerievorbereitung versuchten die Italiener am 
Zv. Mai sich der nördlichsten Werke der Hochfläche von Lava- 
rone durch Jnfanterieangriff zu bemächtigen. Um 3Uhr 
morgens gingen das 161. Infanterieregiment und das 
Alpinibataillon Bassano zum Angriff vor, aber der Sturm 
scheiterte unter sehr schweren Verlusten, die besonders das 
Artillerie- und Maschinengewehrfeuer von Cima di Vezzena 
verursachte. Unsere Verluste waren gering. 
Auch im Juni waren die von den Italienern mit In- 
fanterietruppen unternommenen Vorstöße gegen die beiden 
Plateaus nicht von besserem Erfolge gekrönt. Im Val 
Sugana kamen sie allerdings ziemlich unangefochten bis 
Borgo; es nützte ihnen aber blutwenig, weil der weitere Weg 
gegen Levico und Caldouazzo versperrt war. Die Verteidiger 
bestanden nur aus Gendarmen und Finanzwachen unter 
dem Landesschützenoblt. F e i k s, aber diese kleine Schar 
hat durch vier Monate heldenmütig standgehalten; erst im 
Herbst kamen Standschützen und Landsturm zur Verstärkung. 
Die Italiener mußten sich begnügen, ihren Zorn an den 
erlösten Brüdern auszulassen und dieselben tüchtig zu bruta- 
lisieren. Auch das Geiselsystem der Russen machten sie sich 
gen Italien. 
mit rascher Auffassung zu eigen. So schleppte das 8z. italie- 
nische Infanterieregiment nach vorübergehender Besetzung 
von Borgo den Bürgermeister Ceschi und zwei Orts- 
insassen auf seinem Rückzüge mit. Der bekannte Venezianer 
Historiker M 0 l m e n t i hatte vollkommen recht, wenn er 
im Corriere della Sera schrieb, die italienische Bevölkerung 
Österreichs sei über den Krieg weniger erfreut als man 
in Italien glaube; sie sei vielmehr durch die Ereignisse erschreckt 
und verwirrt worden. Von den Freuden der Erlösung 
konnte auch das im Asticotale hart an der Grenze liegende 
kleine Dorf Easotto ein Liedchen singen. Der Ort war, als 
vor unserer Widerstandslinie gelegen, geräumt worden. 
Dessenungeachtet eröffnete am 27. Mai die italienische Ar- 
tillerie auf ihn das Feuer, durch welches acht Häuser be- 
schädigt wurden und auch die in Stärke von etwa einer Kom- 
pagnie gegen die unverteidigte Ortschaft vorrückende In- 
fanterie schoß hinein und verwundete mehrere Frauen. 
Dann zogen die guten „Brüder" ein und begannen zu plün- 
dern, was sie auch bei späteren Besuchen wiederholten. Sie 
raubten alles, was ihnen wertvoll dünkte. Das Gasthaus 
des Luca Sartori, dessen beide Söhne schon im Herbst 1914 
nach Italien desertiert waren, wurde geradeso geplündert 
wie Hab und Gut der kaisertreuen Bevölkerung. Als nach 
einigen Tagen auch die letzten Bewohner Easottos zu uns 
geflüchtet waren, eröffnete unsere Artillerie das Feuer und 
säuberte den Ort von den italienischen Truppen. 
Die Bearbeitung unserer Werke durch die italienische 
Artillerie dauerte fort; allerdings mit geringen Resultaten. 
Der Feldknrat O r t n e r von den Landesschützen schrieb 
damals in einem Briefe an den Dechant Fürstauer 
in Altenmarkt: „Bald dreißig Tage feuern ununterbrochen 
die feindlichen Geschütze auf uns herüber — ohne wesentliche 
Erfolge. Im Gegenteil! Bei jedem Soldaten ist die Über- 
zengnng gereift: ,Sie sind für nix/ Und der Herrgott hält 
augenscheinlich zu uns, doppelt mehr noch als früher. Auf 
unserem Raum beiläufig 40000 Kanonenschüsse und noch 
keinen Meter Grabenlänge genommen, — auf 10 000 schwere 
(28 Zentimeter) und mittlere (15 Zentimeter) nur einen 
Toten und zwei Verwundete durchschnittlich. Die Infanterie- 
angriffsversnche sind Hasenjagden. Im römischen Haupt- 
quartierbericht stand die „siegreiche Einnahme der Festung 
Luserna und der einige Kilometer dahinter liegenden Panzer- 
festung Luserna." Aber das Erobern müssen sie erst probieren. 
In der erobert gelogenen Lnserner Festung hat mich am 
Fronleichnamstage die dienstfreie Besatzungsmannschaft mit 
brennenden Kerzen am Haupttore empfangen und den gött- 
lichen Heiland voll Freude mit tränenfeuchten Augen in das 
Innere begleitet. Dort sang ich mit heller Stimme das Jo- 
Hannesevangelium. Ich stieg hinauf in den Aussichtsturm 
und gab den vierfachen Segen. Wie stark fühlte ich mich 
auf der hohen Zinne. Auf der mit Lüge eroberten Festung 
steht der Herrgott an seinem Ehrentage und schützt sein Tirol, 
der Bundesfeldherr steht an der Front und seine Krieger 
knien um ihn, Stutzen und Rosenkranz und Kerzen in der 
Hand. Siegesgewiß hielt ich den Gott der Wahrheit, Treue 
und Gerechtigkeit dem verlogenen, treulosen und raub- 
süchtigen Feind entgegen. Nach dem Frühstück trug ich die 
kleine Monstranz acht Stunden lang durch die Schützen- 
gräben, begleitet von einem Kollegen. Auf jedem Stütz- 
puukt empfing das hochwürdigste Gut der Kommandant 
und leistete die Ehrenbezeugung; im Eingang las ich das 
„Initium sancti evangelii secundum Joannem" und erteilte 
den Segen von Schießscharte zu Schießscharte. Erst gegen
	        
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