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Der Krieg gegen Italien.
im Kriege aus ihren Reihen auch 2 Regimenter Feldtruppen
auf. Hochentwickelt ist das Radfahr- und Automobilwesen in
der italienischen Armee und auch die fliegenden Streitkräfte
sind an Zahl wie an Qualität recht erhebliche. Nicht weniger
als 9 Lenkballons halb starren Systems, 26 mobile asiatische
Geschwader ä7 Blöriot--Eindecker und 4 stabile Geschwader
ä 7 Farman-Zweidecker, zusammen also zirka 200 Flugzeuge,
repräsentierten zu Kriegsbeginn die Luftflotte des Königreichs.
Eine starke und als sehr kriegsbrauchbar geltende Marine
verteidigt Italiens langgestreckte Küsten (oder soll sie mindestens
verteidigen). Ihr Chef war zu Beginn der rangälteste Flagg-
offizier, Admiral Viale. Sein Name drang zum erstenmal in die
größere Öffentlichkeit, als er, im Frühjahr 1912, das Kommando
der vor Tripolis operierenden Flotte übernahm. Er behielt es
auch bis zum Frieden von Lausanne. Trotzdem in den letzten
Jahren nichts gespart wurde, um die Seestreitmacht des König--
reichs möglichst imposant zu gestalten, und trotzdem italienische
Schiffbauer den Ruf genialer Konstrukteure genießen, wurden
doch, sogar in Dreiverbandskreisen, die Siegeschancelt der
italienischen Flotte nicht gar zu hoch bewertet. Das muß seine
Gründe haben; und sie dürsten nicht in der Einschätzung des
toten, sondern in der des lebenden Materials der italienischen
Seemacht suchen zu sein. 12 Linienschiffe, darunter 4 Dread-
noughts — 4 weitere ä 31000 Tonnen liegen noch auf Stapel
— y Panzerkreuzer, 7 geschützte Kreuzer, 69 Hochseetorpedo¬
boote, 33 Torpedobootzerstörer und 20 angeblich hochwertige
Unterseeboote, mit einem Personalstand von insgesamt
37000 Köpfen, darunter 999 Offiziere: — was für eine ge-
waltige schwimmende Streitmacht! Neben ihr nimmt sich die
österreichisch-ungarische Marine recht bescheiden aus. Dazu
1200 000 siegeslustige, wohlgerüstete Streiter zu Lande —
wenn wir das Gruseln lernten, es wäre nichts Unbegreifliches.
Dennoch: wir lesen ein wenig in älterer und neuerer Geschichte
— und schöpfen Zuversicht aus dieser Lektüre. Was naher
Perspektive als Glück und Zufall erscheinen mag, erkennt der
Blick der Historie, Jahrhunderte umspannend, als logische Not--
wendigkeit. Schalten wir aber den Zufall aus, so sind der Vor-
bedingungen genug gegeben, uns guten Ausgang der italienischen
Affäre zu verbürgen. Recht, Tüchtigkeit, Können, reines Ge-
wissen und reine Hände, Kriegserfahrung und geschichtliche
Analogie«: alles spricht für den Erfolg der österreichisch-
ungarischen Waffen. Verwirren könnte solchen Spruch nur
eines: menschliches Genie. Aber weder Gegenwart noch Ver-
gangenheit gibt irgend welchen Anlaß, einen Napoleon oder
Friedrich in den Reihen der italienischen Strategen zu vermuten.
(Geschrieben zu Beginn des Feldzugs.)
Wie 1809!
Als im Mai 1915 der bevorstehende Treubruch des
Bundesgenossen im Süden immer zweifelloser wurde, wäh-
rend gleichzeitig die Riesenschlachten in Galizien und Polen
unsere Streitkräfte vollauf in Anspruch nahmen, da fragten
sich die Leute im Hinterlande ängstlich: woher sollen die Sol-
baten kommen, die den neuen Feind abwehren, und wer
vor allem soll, da die Hauptkraft unserer Defensive doch an
der verhältnismäßig offenen Front im Küstenlande stand-
halten muß, das treue Land Tirol gegen die welschen Ein-
dringlinge verteidigen? — Das Volk von Tirol hat darauf
die Antwort gegeben: wie vor hundert Jahren scharte es sich
um die alten Fahnen und setzte den letzten Mann an die
Verteidigung des heimatlichen Bodens!
Was die Feldarmeen an Truppen für Tirol hergeben
konnten, war wenig genug: ungefähr 15000 Mann. Aber
dazu einen bewährten, eisenfesten Kommandanten, GdK.Victor
Dankl, den Sieger von Krasnik, einen Mann, der das Land
kannte wie kein anderer Führer und der an ihm hing mit
allem Feuer seines jung gebliebenen Herzens. Er, der schon
bei Beginn des Weltkrieges als Erster zu seinen Soldaten
sagen konnte: „Ihr habt den an Zahl überlegenen Feind aufs
Haupt geschlagen," er sollte jetzt neuerdings einem über-
mächtigen Gegner beweisen, baß auch im modernen Massen-
kriege die Zahl nicht alles bedeutet.
Am 23. Mai ging D a n k l auf seinen neuen Posten
als Landesverteidigungskommandant von Tirol. Das Ver-
trauen des anvertrauten Landes empfing ihn, und wie die
Väter im Jahre 1809 dem treuen Sandwirt, folgten die
Söhne der Berge seinem Aufrufe: „Der Feind steht vor
unserer Tür, er will Tirol erobern und niederzwingen. So
wie im Jahre 1809 müssen wir alle zusammenstehen und
kämpfen für unsere heimatliche Erde, für unsere Ehre. Nie-
mand darf unsere Reihen verlassen, bis der übermächtige
Feind hinausgeworfen ist. Das ist jetzt unsere erste und oberste
Pflicht. Alle Arbeiten zu Hause müssen vor dieser Forderung
zurücktreten und so gut es geht von den Weibern und Kin-
dem besorgt werden. Für die Einbringung der Heu- und
sonstigen Ernte wird speziell gesorgt. Ist einmal der Feind
zurückgeschlagen, bann werden wir alle unsere Arbeiten zu
Hause ruhig und gesichert verrichten können. Bis dahin müssen
wir aber in der großen und schweren Zeit einig, fest und uner-
schwerlich einstehen für unser Land, für Kaiser und Reich!"
Auf ein vom Tiroler Landesausschuß «ach der italienischen
Kriegserklärung abgesandtes Huldigungstelegramm erging
die folgende kaiserliche Antwort: „Seine Majestät sind
überzeugt, daß die felsenfeste Treue und der von den Alt-
vorderen überkommene Heldenmut der Tiroler sich unter
Gottes gnädigem Beistande auch dem neuen Feinde gegen-
über ruhmvoll bewähren werde."
Das Land Tirol hat diese Erwartung seines kaiserlichen
Herrn nicht getäuscht. Wie im Neunerjahr ist der letzte Mann
aufgestanden. Bei den Standfchützen ist alles eingerückt,
Kinder und Greise. Man sah zwölfjährige Burschen und
siebzigjährige Männer an die Grenze ziehen, ben Rucksack
auf dem Rücken und den Tiroler Adler, der sie von den übrigen
Truppen unterschied, am Blusenkragen. Schon in der ersten
Kriegswoche meldeten sich 12 000 Kriegsfreiwillige, darunter
1500 zwischen 65 und 70 Jahren. Der alte Haß gegen die
welschen Feinde, die so oft versucht hatten, ihre Hände nach
dem Land Tirol auszustrecken und die immer wieder mit
blutigen Köpfen über die Grenzen zurückgejagt worden waren,
brach jetzt mit verdoppelter Wut hervor angesichts des
niederträchtigen Treubruches, und über Berg und Tal, von
jungen und alten Lippen erschallte der Ruf: „Derschlags« mer
die Walischen !"
Die endlich herangetretene Entscheidung hatte förmlich
befreiend gewirkt. Der „Allgemeine Tiroler Anzeiger" gab
nur der einmütigen Stimmung des Volkes Ausdruck, wenn
er in einem Artikel unter der Uberschrift: „Hände weg von
Tirol" sagte: