Volltext: Die Geschichte des Weltkrieges II. Band (2,1920)

212 
Der Krieg gegen Italien. 
im Kriege aus ihren Reihen auch 2 Regimenter Feldtruppen 
auf. Hochentwickelt ist das Radfahr- und Automobilwesen in 
der italienischen Armee und auch die fliegenden Streitkräfte 
sind an Zahl wie an Qualität recht erhebliche. Nicht weniger 
als 9 Lenkballons halb starren Systems, 26 mobile asiatische 
Geschwader ä7 Blöriot--Eindecker und 4 stabile Geschwader 
ä 7 Farman-Zweidecker, zusammen also zirka 200 Flugzeuge, 
repräsentierten zu Kriegsbeginn die Luftflotte des Königreichs. 
Eine starke und als sehr kriegsbrauchbar geltende Marine 
verteidigt Italiens langgestreckte Küsten (oder soll sie mindestens 
verteidigen). Ihr Chef war zu Beginn der rangälteste Flagg- 
offizier, Admiral Viale. Sein Name drang zum erstenmal in die 
größere Öffentlichkeit, als er, im Frühjahr 1912, das Kommando 
der vor Tripolis operierenden Flotte übernahm. Er behielt es 
auch bis zum Frieden von Lausanne. Trotzdem in den letzten 
Jahren nichts gespart wurde, um die Seestreitmacht des König-- 
reichs möglichst imposant zu gestalten, und trotzdem italienische 
Schiffbauer den Ruf genialer Konstrukteure genießen, wurden 
doch, sogar in Dreiverbandskreisen, die Siegeschancelt der 
italienischen Flotte nicht gar zu hoch bewertet. Das muß seine 
Gründe haben; und sie dürsten nicht in der Einschätzung des 
toten, sondern in der des lebenden Materials der italienischen 
Seemacht suchen zu sein. 12 Linienschiffe, darunter 4 Dread- 
noughts — 4 weitere ä 31000 Tonnen liegen noch auf Stapel 
— y Panzerkreuzer, 7 geschützte Kreuzer, 69 Hochseetorpedo¬ 
boote, 33 Torpedobootzerstörer und 20 angeblich hochwertige 
Unterseeboote, mit einem Personalstand von insgesamt 
37000 Köpfen, darunter 999 Offiziere: — was für eine ge- 
waltige schwimmende Streitmacht! Neben ihr nimmt sich die 
österreichisch-ungarische Marine recht bescheiden aus. Dazu 
1200 000 siegeslustige, wohlgerüstete Streiter zu Lande — 
wenn wir das Gruseln lernten, es wäre nichts Unbegreifliches. 
Dennoch: wir lesen ein wenig in älterer und neuerer Geschichte 
— und schöpfen Zuversicht aus dieser Lektüre. Was naher 
Perspektive als Glück und Zufall erscheinen mag, erkennt der 
Blick der Historie, Jahrhunderte umspannend, als logische Not-- 
wendigkeit. Schalten wir aber den Zufall aus, so sind der Vor- 
bedingungen genug gegeben, uns guten Ausgang der italienischen 
Affäre zu verbürgen. Recht, Tüchtigkeit, Können, reines Ge- 
wissen und reine Hände, Kriegserfahrung und geschichtliche 
Analogie«: alles spricht für den Erfolg der österreichisch- 
ungarischen Waffen. Verwirren könnte solchen Spruch nur 
eines: menschliches Genie. Aber weder Gegenwart noch Ver- 
gangenheit gibt irgend welchen Anlaß, einen Napoleon oder 
Friedrich in den Reihen der italienischen Strategen zu vermuten. 
(Geschrieben zu Beginn des Feldzugs.) 
Wie 1809! 
Als im Mai 1915 der bevorstehende Treubruch des 
Bundesgenossen im Süden immer zweifelloser wurde, wäh- 
rend gleichzeitig die Riesenschlachten in Galizien und Polen 
unsere Streitkräfte vollauf in Anspruch nahmen, da fragten 
sich die Leute im Hinterlande ängstlich: woher sollen die Sol- 
baten kommen, die den neuen Feind abwehren, und wer 
vor allem soll, da die Hauptkraft unserer Defensive doch an 
der verhältnismäßig offenen Front im Küstenlande stand- 
halten muß, das treue Land Tirol gegen die welschen Ein- 
dringlinge verteidigen? — Das Volk von Tirol hat darauf 
die Antwort gegeben: wie vor hundert Jahren scharte es sich 
um die alten Fahnen und setzte den letzten Mann an die 
Verteidigung des heimatlichen Bodens! 
Was die Feldarmeen an Truppen für Tirol hergeben 
konnten, war wenig genug: ungefähr 15000 Mann. Aber 
dazu einen bewährten, eisenfesten Kommandanten, GdK.Victor 
Dankl, den Sieger von Krasnik, einen Mann, der das Land 
kannte wie kein anderer Führer und der an ihm hing mit 
allem Feuer seines jung gebliebenen Herzens. Er, der schon 
bei Beginn des Weltkrieges als Erster zu seinen Soldaten 
sagen konnte: „Ihr habt den an Zahl überlegenen Feind aufs 
Haupt geschlagen," er sollte jetzt neuerdings einem über- 
mächtigen Gegner beweisen, baß auch im modernen Massen- 
kriege die Zahl nicht alles bedeutet. 
Am 23. Mai ging D a n k l auf seinen neuen Posten 
als Landesverteidigungskommandant von Tirol. Das Ver- 
trauen des anvertrauten Landes empfing ihn, und wie die 
Väter im Jahre 1809 dem treuen Sandwirt, folgten die 
Söhne der Berge seinem Aufrufe: „Der Feind steht vor 
unserer Tür, er will Tirol erobern und niederzwingen. So 
wie im Jahre 1809 müssen wir alle zusammenstehen und 
kämpfen für unsere heimatliche Erde, für unsere Ehre. Nie- 
mand darf unsere Reihen verlassen, bis der übermächtige 
Feind hinausgeworfen ist. Das ist jetzt unsere erste und oberste 
Pflicht. Alle Arbeiten zu Hause müssen vor dieser Forderung 
zurücktreten und so gut es geht von den Weibern und Kin- 
dem besorgt werden. Für die Einbringung der Heu- und 
sonstigen Ernte wird speziell gesorgt. Ist einmal der Feind 
zurückgeschlagen, bann werden wir alle unsere Arbeiten zu 
Hause ruhig und gesichert verrichten können. Bis dahin müssen 
wir aber in der großen und schweren Zeit einig, fest und uner- 
schwerlich einstehen für unser Land, für Kaiser und Reich!" 
Auf ein vom Tiroler Landesausschuß «ach der italienischen 
Kriegserklärung abgesandtes Huldigungstelegramm erging 
die folgende kaiserliche Antwort: „Seine Majestät sind 
überzeugt, daß die felsenfeste Treue und der von den Alt- 
vorderen überkommene Heldenmut der Tiroler sich unter 
Gottes gnädigem Beistande auch dem neuen Feinde gegen- 
über ruhmvoll bewähren werde." 
Das Land Tirol hat diese Erwartung seines kaiserlichen 
Herrn nicht getäuscht. Wie im Neunerjahr ist der letzte Mann 
aufgestanden. Bei den Standfchützen ist alles eingerückt, 
Kinder und Greise. Man sah zwölfjährige Burschen und 
siebzigjährige Männer an die Grenze ziehen, ben Rucksack 
auf dem Rücken und den Tiroler Adler, der sie von den übrigen 
Truppen unterschied, am Blusenkragen. Schon in der ersten 
Kriegswoche meldeten sich 12 000 Kriegsfreiwillige, darunter 
1500 zwischen 65 und 70 Jahren. Der alte Haß gegen die 
welschen Feinde, die so oft versucht hatten, ihre Hände nach 
dem Land Tirol auszustrecken und die immer wieder mit 
blutigen Köpfen über die Grenzen zurückgejagt worden waren, 
brach jetzt mit verdoppelter Wut hervor angesichts des 
niederträchtigen Treubruches, und über Berg und Tal, von 
jungen und alten Lippen erschallte der Ruf: „Derschlags« mer 
die Walischen !" 
Die endlich herangetretene Entscheidung hatte förmlich 
befreiend gewirkt. Der „Allgemeine Tiroler Anzeiger" gab 
nur der einmütigen Stimmung des Volkes Ausdruck, wenn 
er in einem Artikel unter der Uberschrift: „Hände weg von 
Tirol" sagte:
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.