Volltext: Die Geschichte des Weltkrieges II. Band (2,1920)

Wie es jum itali 
Ja Serbien und Montenegro drangen, der russischen Unter-- 
stützuug sicher, unbekümmert um die Gefahr eines euro-- 
päischen Krieges weiter vor als Österreich-Ungarn und 
Italien gestatten wollten. Diese beiden Adria-Uferstaaten 
wollten Serbien — und damit Rußland — einen Hafen 
oder Küstenstrich am gleichen Meere nicht zugestehen. Die 
Gemeinsamkeit der Bestrebungen siegte über alle Bedenken, 
der Alb über Europa tat das Seine und so wurde der Drei- 
bund vorzeitig — denn er hätte noch bis 1914 gegolten — 
schon damals, am 7. Dezember 1912, verlängert; und zwar 
für sechs Jahre, das ist bis 1920. Es sollte das letzte Mal sein. 
Selbst in Italien begrüßte man die Erneuerung und merk-- 
würdigerweise sprachen englische Zeitungen bei diesem letzten 
Abschluß wie seinerzeit beim ersten ihre Sympathien aus. 
Die Erneuerung geschah unverändert und so blieb der Ar- 
tikel VII über Kompensationen erhalten, obwohl türkisches 
Balkangebiet — von anderem konnte nach dem Machtzuwachs 
der christlichen Balkanstaaten gar nicht die Rede sein — 
überhaupt nicht mehr für Kompensationen, sei es Hsterreich- 
Ungarns, sei es Italiens, verfügbar war. Dank ihrer ver- 
einten und verbündeten Willenskraft lenkten die Dreibund- 
staaten das Ergebnis der Londoner Konferenz in ihrem 
Sinne. Die Tragödie des selbständigen Albanien begann. 
Serbien und Montenegro mußten sich fügen. Sie suchten 
sich zu entschädigen, ein zweiter Balkankrieg riß an den 
Nerven Europas und in seinem Verlauf mußte Österreich- 
Ungarn einmal (August 191z) dem übermütigen Serbien 
mit dem Äußersten drohen. Damals erklärte Italien, in 
einem solchen Kriege würde der Monarchie das Recht auf 
seine Dreibundhilfe nicht zustehen. Zu Weiterungen kam es 
nicht; Serbien gab nach. Noch für einige Monate gewann 
die Welt die Ruhe wieder. Der Dreibund aber wurde von 
allen Seiten gepriesen. Er schien gefestigter denn je; der 
Botschafter B a r r e r e soll es damals schon anders ge- 
wüßt haben. Das offizielle Italien jedesfalls versprach, 
überallhin gleich stark und gleich liebenswürdig, durch seinen 
Minister di San Giuliauo „ein Element des Friedens 
zu sein" und „keine Politik des Größenwahns und des 
Jmperalismus zu treiben". 
Und dann hörte man von seiner Neutralitätserklärung 
im Weltkrieg und, weitere zehn Monate danach, vom Ende 
des großen Friedensvertrages. 
Es ist immer wieder gefragt und erörtert worden, welche 
Verpflichtung der Dreibund denn eigentlich auferlegt habe. 
Das Geheimnis des Vertrages wurde die ganze Zeit hindurch 
bewahrt und selbst jetzt, nach seiner Auflösung, kennen wir 
nur vier von seinen Artikeln, allerdings wohl die wichtigsten. 
Als Ergebnis der Untersuchungen von F r i e d j u n g, H e l- 
molt, Doerkes-B0ppard und anderen darf man 
festhalten, daß das Abkommen, ursprünglich aus mehreren 
Verträgen bestehend, spätestens seit 1912 nur einen Vertrags- 
text kennt, der alle Mitglieder gleichzeitig bindet. Daß 
Militärkonventionen nebenher gingen, daß vielleicht auch 
die Konvention über Albanien als Bestandteil des Drei- 
bundabkommens anzusehen war, ist möglich. 
Aus den veröffentlichten Artikeln geht ungefähr folgen- 
des hervor. Die Dreibundgenossen sichern sich Frieden und 
Freundschaft zu; sie werden, wo immer es notwendig ist, 
jeder den eigenen Notwendigkeiten entsprechend, jedoch im 
Einverständnis und in Fühlung miteinander vorgehen. Wird 
ein Bundesgenosse von einer nicht bundesgenössischen Groß- 
macht angegriffen, so sind die anderen zu wohlwollender Neu- 
tralität verpflichtet. Wenn aber zwei oder mehrere nicht 
ischen Kriege kam. 9 
bundesgenössische Großmächte angreifen, so sind sämtliche Drei- 
bundgenossen Waffenhilfe schuldig. „Angriff" bedeutet nach 
Text und Sinn (:... venaient ä etre attaquees e t ä se 
trouver engag6es dans une g u e r r e!") soviel 
wie Herausforderung. Wer aber nur militärisch angreift, weil 
ihn der Gegner bedroht und provoziert, der hat sich im Sinn 
des Vertrages verteidigt. (Doerke s-B 0 p p a r d.) 
Endlich der Artikel VII über die Kompensationen: 
„Hsterreich-Ungarn und Italien . .. verpflichten sich, 
ihren Einfluß geltend zu machen, damit jede territoriale 
Veränderung, die der einen oder der anderen der den gegen- 
wältigen Vertrag unterzeichnenden Mächte nachteilig wäre, 
hinangehalten werde. Sie werden einander zu diesem Be- 
Hufe alle Aufschlüsse geben, die geeignet sind, sie gegenseitig 
über ihre eigenen Absichten sowie über die anderer Mächte 
aufzuklären. Sollte jedoch der Fall eintreten, daß im Laufe 
der Ereignisse die Aufrechterhaltung des staws quo im 
Gebiete des Balkan oder der ottomanischen Küsten und 
Inseln im Adriatischen oder Ägäischen Meer unmöglich 
würde, und daß, entweder infolge des Vorgehens einer dritten 
Macht oder sonstwie, österreich und Italien genötigt wären, 
den Status quo durch eine zeitweilige oder dauernde Besetzung 
ihrerseits zu verändern, so würde diese Besetzung nur statt-- 
finden nach einer vorangegangenen Übereinkunft zwischen 
den beiden Mächten, welche auf dem Prinzip einer gegen- 
seitigen Kompensation für alle territorialen oder ander- 
weitigen Vorteile, die eine jede von ihnen über den gegen- 
wärtigen staws quo hinaus erlangen würde, zu beruhen 
und die Interessen und berechtigten Ansprüche der beiden 
Teile zu befriedigen hätte." 
Nach dem Ergebnis der Balkankriege ist es ganz klar, 
daß sich dieser Artikel nur noch auf türkische Gebiete beziehen 
konnte. Er ist also eigentlich überflüssig geworden. 
Wir sind nun der äußeren Geschichte des Dreibundes 
bis zum Beginn des Weltkrieges gefolgt. Betrachten wir das 
ergänzende Bild. Die innere Geschichte des Bündnisses ist 
fast ausschließlich Geschichte der Beziehungen Italiens zu 
Hsterreich-Ungarn. Es ließe sich zwar auch eine Geschichte 
der deutsch-italienischen Beziehungen geben. Es ließe sich, 
fast bloß nach Reiseerinnerungen, schildern, wie die Sym- 
pathien für alles Deutsche immer mehr abgenommen, die 
Sympathien für englisches und französisches Wesen im gleichen 
Maße, ja darüber hinaus bis zur blinden Verehrung zu- 
genommen haben; und nicht ohne gute Gründe: Franzosen 
und Engländer dankten es besser. Aber wir müssen uns 
hier an das Nächste halten. Zwischen Italien und Hsterreich- 
Ungarn konnte Frieden oder gar Freundschaft gar nicht 
bestehen, solange der Jrredentismus mächtig war, solange 
es in Italien Leute gab, die von der Monarchie etwas be- 
gehrten und in der Monarchie Gesinnungsgenossen, die 
nach Italien „gravitierten". 
„lerre irredente" gab es eigentlich erst nach 1870, seit 
das übrige Italien erlöst und geeint war. Schon 1866 hatte 
man sich in Italien bemüht, wenigstens Welsch-Tirol, das 
„Trentino", von Frankreich oder Preußen zu bekommen. 
Es mißlang und die italienischen Scharen, die nicht sehr 
weit über die Grenze vorgedrungen waren, mußten zurück- 
berufen werden. Die Enttäuschung über den Wiener Frieden 
von 1866 war bitter. Er hätte ja auch noch Jstrien, Triest 
und Dalmatien bringen „können". Aber mit der Einnahme 
Roms gab sich die nationale Erhebung schließlich doch zu- 
frieden. Gualtiero E a st e l l i n i, ein Wortführer des 
Jrredentismus von heute und Historiker des Jrredentismus
	        
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