Volltext: Die Geschichte des Weltkrieges II. Band (2,1920)

Feldzug gegen Rußland. 
Nach der Militärzeituug des Streffleur vom 27. Mai 1916 
wurde weiter in der Zeit vom 16. April bis 2z. April, also 
im Verlaufe von kaum einer Woche im Neuyorker Hafen 
verladen für: 5 000000 Mark Patronen, 7 500 ovo Mark 
geladene Geschosse, 6 100 000 Mark Feuerwaffen und für 
2 500 000Mark Stacheldraht. 
Zur Ermöglichung der Zufuhr des für Rußland bestimme 
ten Materials wurde den ganzen Winter hindurch mit 
dem größten Eifer an dem Ausbau der Murmanbahn ge-- 
arbeitet, welche in einer Länge von 1100 Kilometer Peters¬ 
burg mit dem Nördlichen Eismeer verbindet, und über 
Petrozawodsk—Kem—Kaudalakt zur Murmanküste führt. 
Mit Stolz wies der damalige Verkehrsminister T r e p 0 w 
in der Duma auf diese im Früh- 
jähr 1916 beinahe fertiggestellte, 
durch Urwälder und über Sümpfe 
führende Bahnlinie hin, welche 
selbst die staunenswerten Lei- 
stungen der Feinde auf dem Ge- 
biete des Verkehrswesens in den 
okkupierten Provinzen in den 
Schatten stelle, erwähnte aber 
nicht, wie viele österreichisch-unga- 
rische und deutsche zu Tausenden 
dabei verwendete Kriegsgefangene, 
bei schlechter Ernährung (Fisch- 
suppe und Schwarzbrot) tagelang 
im kalten Sumpfwasser arbeitend, 
elend zugrunde gegangen sind. 
Der Haupteinfuhrhafen blieb 
aber nach wie vor Archangelsk, 
welches, sobald der Hafen eisfrei 
war, ausschließlich für den Kriegs- 
Material - Transport bestimmt 
wurde. Die Schmalspurbahn 
Kotlas (gegenüber Archangelsk- 
Petersburg wurde zu einer nor- 
malspurigen umgebaut. In Ale- 
xandrowsk wurde eine Radio- 
station errichtet, welche über Peter- 
heat in Schottland eine Verbin- 
duug mit England ermöglichte. 
Die sibirische Bahn brachte andererseits während des 
ganzen Winters unablässig Kriegsmaterial aus Japan an 
die russische Front. 
Auch in Rußland selbst wurde in den Fabriken, trotz aller 
bekannten Schwierigkeiten (Mangel an technisch gebildeten 
Leitern, infolge Abschaffung aller deutschen Direktoren und 
Professionisten) viel mehr geleistet, als bisher. Nach dem 
Schweizer „Preßtelegraph" war im Mai 1916die Erzeugung 
von Artilleriegeschossen in den russischen Fabriken auf 80000 
Stück täglich gestiegen und wie P r 0 t 0 p 0 p 0 w bei seiner 
Anwesenheit in London im Frühjahre des gleichen Jahres 
versicherte, sollen damals 400 Textil- und 68 Metallfabriken 
im Lande für die Bedürfnisse des Heeres gearbeitet haben. 
Diesen Versicherungen scheinen aber die Bundesgenossen 
der Russen, bei den immer wiederkehrenden Streiks in den 
Putilowwerken, in Tula, Odessa und anderen Industrie- 
orten, wenig Glauben beigemessen zu haben, da ihre 
Kommissionen sehr häufig in den russischen Etablissements 
erschienen, um, wo es nottat, in den Betrieben selbst ein- 
zugreifen. Englische, französische und belgische Offiziere und 
Ingenieure ersetzten das mangelhafte technische Personal. 
Anfang Mai kamen die französischen'Minister Thomas 
und Vi Viani nach Petersburg zum Zwecke der Neugestal- 
tung der russischen Industrie. Die Putilowwerke erhielten drei 
französische Direktoren; die Arbeiter wurden zum größeren 
Teile durch Franzosen und Belgier ersetzt. Damit waren 
natürlich die russischen Arbeiter nicht zufrieden und es eut- 
standen neuerliche Unruhen. Erwähnenswert ist auch der 
Umstand, daß bei den Putilowstreiks im Januar die dort 
verwendeten Kriegsgefangenen die Haupträdelsführer waren. 
Wie dem auch sei, Tatsache ist, daß die Betriebe durch das 
Eingreifen der Westmächte leistungsfähig wurden und auch 
die Russen im Frühjahr über einen enormen Vorrat von 
Kriegsmaterial verfügten, der ihre gesunkene Siegeszuversicht 
nicht wenig hob, und in der Presse 
sowie in der Sprache, die sie 
auch den Kriegsgefangenen gegen- 
über führten, zum Ausdrucke kam. 
Allgemein war die russische Offent- 
lichkeit von der Überzeugung durch- 
drungen, daß mit dieser großen 
Offensive die Mittelmächte nieder- 
gerungen werden würden, und der 
Herbst den auch in Rußland lang- 
ersehnten Frieden bringen werde. 
Allgemeine Lage an der 
Ostfront nach der russischen 
Märzoffensive. 
Nach der mißlungenen März- 
offensive verzichteten die Russen 
im weiteren Verlaufe ihrer krie- 
gerischen Tätigkeit darauf, gegen 
die von den tapferen Truppen 
H i n d e n b u r g s so zäh und 
unerschütterlich verteidigte Front 
anzurennen und es trat in den 
folgenden zwei Monaten verhält- 
nismäßige Ruhe ein. 
Zwar kam es an verschiedenen 
General Brussilow. Stellen der ganzen, mehr als 1200 
Kilometer langen Ostfront zu 
Kämpfen, die jedoch keine größeren Dimensionen annahmen 
und teils Rekognoszierungszwecken teils zur Verbesserung 
der Stellung dienten. Die Schneeschmelze und die bald 
darauf eintretenden Hochwasser machten größere Operationen 
unmöglich und nur kleiuere Patrouillen vermochten sich in 
dem vielfach versumpften und von Wasserläufen durch- 
zogenen Gelände vorwärts zu bewegen. 
Die Kampffront zog sich im Frühjahre von der Ostsee 
zwischen Schlok und Tuckum nördlich von Mitau vorbei 
nach Friedrichsstadt, das in deutscher Hand war, von dort 
lief sie über Selburg westlich an dem russischen Brücken, 
köpf von Jakobstadt und östlich an Jlluxt vorbei in die 
Gegend westlich Dünaburg und zum Driswjatysee; von hier 
aus hatte sie allgemein südliche Richtung bis zum Narocz- 
see (Witsy lag westlich, Postawj östlich der Kampflinie), wo 
sie nach Südwesten umbog und sich westlich um Smorgon 
herumzog, dann nahm die Front wieder allgemeine Richtung 
nach Süden; sie lag westlich der Serwecz- und Sczaralinie, 
folgte ein Stück weiter dem Oginskikanal und bildete dann 
einen Bogen östlich um Pinsk herum. Hierauf folgt sie im 
allgemeinen dem Styr, dem Korminbach und der Putilowka
	        
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