Volltext: Die Geschichte des Weltkrieges II. Band (2,1920)

Feldzug gegen Rußland. 
schen. Die Russen flohen, von dem nachrückenden Heere 
eifrigst verfolgt, gegen Wilna. 
Die Festung war trotz zähester Verteidigung von den 
Deutschen mit stürmender Hand genommen worden. Wieder 
war dieser schnelle Erfolg, der einen wochenlangen Widern 
stand im Vorgelände in überraschender Art ablöste, vor allem 
der gewaltigen Wirkung der verbündeten Artillerie zuzu- 
schreiben. Ihre große Beweglichkeit und die zielbewußte 
Führung ermöglichten ein rasches Vorrücken, so daß der 
artilleristische Angriff gleichzeitig mit dem Jnfanteriesturm 
erfolgt war. Die feindlichen Anlagen wurden in kurzer Zeit 
zerstört und sturmreif gemacht, so daß der Nahangriff durchs 
geführt wurde. Wozu früher Wochen und Monate erfordere 
lich waren, das konnte jetzt in wenigen Tagen erreicht wer-- 
den. Gleich bei den ersten Angriffsaktionen der Infanterie 
am 16. August, welche die gesamte Frontlinie zwischen 
Jesta und Njemen 
in die Hand der 
Deutschen brachte, 
wurde die Artil- 
lerie sofort nachge-- 
schoben und nahm 
unverzüglich die 
Bekämpfung der 
Kernumwallung 
der Westfront und 
nach deren Fall am 
17. August die Be- 
kämpfung der auf 
das Ostufer zurück- 
gewichenen feinde 
lichen Kräfte auf. 
Durch die an den 
Njemen heran-- 
geführte Artillerie 
wurde im feind-- 
lichen Feuer der 
Strom, zunächst 
durch einzelne klei- 
nere Abteilungen, 
dann mit stärkeren 
Kräften überwunden. Rasch gelang es darnach als Ersatz 
für die durch den Feind zerstörten Übergänge einen zwei-- 
fachen Brückenschlag durchzuführen. Diese artilleristischen 
Vorarbeiten hatten zur Folge, baß schon im Laufe des 
17. August auch die bereits von Norden angegriffenen 
Forts der Nordfront, sowie die Ost-- und zuletzt die ganze 
Südfront erobert wurden. 
Die Beute war zunächst unübersehbar. Außer 20 000 Ge-- 
fargenen gewannen die deutschen Sieger über izoo Ge-- 
schütze, darunter zahlreiche schwersten Kalibers und modernster 
Konstruktion, sowie gewaltige Munitionsmassen, zahlreiche 
Maschinengewehre, Scheinwerfer und Heeresgeräte aller 
Art, Automobile und Gummibereifungen, Millionenwerte 
an Proviant. Es war den Russen nicht mehr gelungen, 
dieses Kriegsmaterial aus der Festung zu retten. Der 
wuchtige Ansturm der Deutschen und die Bedrohung der 
Eisenbahn Kowno—Wilna hatten jeden Versuch einer 
Bergung verhindert. 
In der vom Feinde verlassenen Stadt wurden Hunderte 
von Rekruten aufgegriffen, nach deren Aussagen erst im letzten 
Augenblicke 15000 unbewaffnete Ersatzmannschaften flucht- 
artig aus Kowno entfnnt worden sind. Diese Tatsache 
Die Festung Kowno nnl der von den deutschen Pioniere» erbauten Notbrücke. 
bildet neben den verzweifelten Gegenangriffen der Russen, 
die auch, nach dem Falle der Festung erbittert, aber erfolglos 
einsetzten, einen Beweis, daß die feindliche Heeresleitung 
mit einem schnellen Fall dieser stärksten russischen Festung 
nicht gerechnet hatte. Wie hohen Wert sie auf die Be- 
hauptung dieses festen Platzes legte, beweist vor allem 
der starke Ausbau der Forts und die überreiche Ausrüstung 
mit Artillerie. Dazu muß man halten, daß der Widerstand 
der nicht eingeschlossenen Besatzung bis zum letzten Augen-- 
blicke durchgeführt wurde, was zur Folge hatte, daß eine 
unter diesen Umständen verhältnismäßig große Anzahl von 
Gefangenen von den Deutschen abgeführt werden konnten. 
Was noch die Absicht des russischen Generalstabs kenn-- 
zeichnet, die Festung Kowno unbedingt zu halten, ist das 
Vorgehen gegen den Gouverneur, Gen. Gregoriew, 
der nach der Preisgabe des Platzes vor ein Kriegsgericht ge- 
stellt wurde. Das 
Urteil lautete auf 
15 Monate strenge 
Haft und auf Ver- 
lust seines Ranges 
für alle Zeit. In 
der Urteilsbegrün- 
dung hieß es, daß 
Gregoriew die 
zur Verteidigung 
der Festung er- 
forderlichen Maß- 
nahmen gröblich 
verabsäumt habe 
und während des 
Kampfes aus dem 
Platze geflüchtet 
sei, die Besatzung 
ihrem Schicksal 
überlassend. ^Auch 
gegen mehrere an- 
dere Generale und 
höhere Offiziere der 
früheren Besatz- 
ungstruppen von 
Kowno wurde eine Untersuchung eingeleitet. Man hatte auf 
russischer Seite sicher nicht mit einer schnellen planmäßigen 
Räumung, wie sie durch die Macht der Verhältnisse in War- 
schau, Jwaugorod, Brest-Litowsk durchgeführt worden war, 
gerechnet. Ein dauernder Widerstand wäre allerdings schwer 
zu erwarten gewesen, immerhin hätte sich die Festung viel- 
leicht noch einige Tage halten können, bis das wichtigste 
Kriegsgerät in Sicherheit gebracht worden wäre. 
Durch den Fall der Festung Kowno war der nördlichste 
Stützpunkt des polnischen Festungsgebietes verloren gegangen, 
die Straße nach Wilna frei gemacht und die so gerühmte 
Njemenfront aufgerollt. Die Folgen der Eroberung machten 
sich bald bemerkbar. Die Russen wurden zur Aufgabe aller 
Stellungen gezwungen, soweit sie am Westufer des Flusses 
gelegen waren. Schon am 19. August konnte gemeldet 
werden, daß die Russen aus ihren befestigten Linien Kal- 
warja—Suwalki zurückgenommen wurden. Es war dies 
für die Deutschen die Freilegung ihres Vormarsches gegen 
die Festungen Olita und Grodno. Hiedurch gewannen die 
Deutschen die ganze Njemenfront, deren entgültiger Besitz 
vom Schicksal Kownos abhängig war. Dies ist die weitere 
kriegsgeschichtliche Bedeutung der Eroberung dieser Festung.
	        
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