Volltext: Die Geschichte des Weltkrieges II. Band (2,1920)

Der Frühjahrsfeld 
In Weiterführung der Verfolgung zog sich am 20. Juni 
der eiserne Halbkreis der Verbündeten von drei Seiten immer 
enger um Lemberg und brachte die Armee Böhm-Ermolli 
und den rechten Flügel der Armee Mackensen vor die 
neue russische Stellung, wo der Feind sein Letztes einsetzte, um 
die Trümmer seiner galizischen Errungenschaften zu halten. 
Der linke Flügel Mackensens eroberte Rawa Ruska, 
fand aber jenseits des Ortes zähen Widerstand, auch der 
rechte Flügel der 4. Armee vermochte trotz aller Anstrengungen 
gegen die hinter einer versumpften Niederung liegende 
russische Stellung nordöstlich Cieszanöw nur langsame 
Fortschritte zu erzielen. 
Aus der heftigen Gegenwirkung der Russen an der ganzen 
Front war zu ersehen, daß nicht nur Nachhuten gegenüber-- 
standen, sondern der Widerstand der feindlichen Armee 
in einer neuen Schlacht gebrochen werden mußte. Cs 
stellte sich heraus, daß in die Stellungen an der Straße 
Hökkiew—Rawa Ruska starke Kräfte, die unter dem Ein- 
druck des Durchbruches am 19. gegen Osten abgezogen worden 
waren, zurückkehrten und so hatte sich das mit dem rechten 
Flügel bei Glinsko angelangte k. n. k. Vi. Korps dreier Gegen- 
angriffe zu erwehren. Auch gegen die 4. Armee brachen in 
der Nacht zum 21. starke russische Kräfte über Ofuchy vor und 
drangen in die dortigen Stellungen ein. Sie wurden aber 
von rasch herbeieilenden Reserven wieder hinausgeworfen. 
Die Armee Böhm--Ermolli hatte diesmal die 
Hauptaufgabe übernommen und verlegte, wie in der 
Schlacht bei Grödek, das Schwergewicht auf den nördlichen 
Flügel gegen Lemberg—Kuliküw, während der Südflügel 
der Armee Mackensen gegen Hütkiew drücken sollte. 
Diesen gegen Osten gerichteten Stoß hatte die Süd- 
armee durch Vorgehen über den Dnjester in die Südflanke 
des Feindes wirksam zu unterstützen. 
Die Südarmee hatte sich nach unserem Siege bei Mcs- 
ciska—Lubaczow keiner weiteren Angriffe zu erwehren, da 
den Russen selbst ein Erfolg nicht mehr genützt, sie vielmehr 
in Gefahr gebracht hätte, daß ihnen der Rückzug über den 
Dnjester durch das weitere Vordringen der Armee Böhm- 
Crmolli gegen Osten abgeschnitten worden wäre. So 
konnte na ch Beendigung der Schlacht bei Mc sciska eine Gruppe 
dieser Armee südlich um die Dujesiersümpse herum geschickt 
werden, der sich nach Zurückdrängendes Feindes von Lity- 
nia die Truppen des FML. Szurmay im erfolgreichen 
Angriff gegen Derzüw und Rudniki anschlössen. Die ver- 
einigten Gruppen warfen den Gegner dann vollends über 
den Fluß und fanden am 20. den unmittelbaren Anschluß 
an den vor dem Szczerek angelangten Südflügel der Armee 
Böhm-Ermolli. Nun begannen die Russen auch ihre 
Stellungen bei Zydaczüw abzubauen und konnte die Süd- 
armee am 21.den Vorstoß ihres rechten Flügels über Zurawno 
einleiten, der bis zum Abend bereits im vollen Zuge war. 
Die Gruppe H 0 f m a n n kämpfte um diese Zeit noch 
immer um die starken Befestigungen von tzalicz und hatte 
den feindlichen Widerstand bereits soweit gebrochen, daß 
auch sie zum entscheidenden Angriff übergehen konnte, der 
Ende Juni nach harten Kämpfen zur völligen Eroberung 
des Brückenkopfes führte. 
Auch bei der Armee Pflanzer-Baltin waren zur 
selben Zeit scharfe Kämpfe im Gange. Die Russen waren dem 
Ostflügel dieser Armee bei der Rückverlegung an die Reichs- 
grenze sofort gefolgt und versuchten schon am 16.über Ra- 
rancze gegen Ezernowitz durchzubrechen. Sie wurden aber 
geworfen, wobei 400 Mann in unserer Hand blieben. Der 
g 1915 in Galizien. 89 
folgende Tag brachte acht russische Sturmangriffe, die dem 
Feinde 8 Offiziere und 1002 Mann allein an Gefangenen, 
ferner 3 Maschinengewehre kosteten und keinen Erfolg 
zeitigen. Run gab es täglich heiße Kämpfe, viele russische 
Nachtangriffe, aber alle waren vergeblich. Auch als es 
den Russen gelungen war, bei Uscie Biskupie den Dnjester 
zu überschreiten und die Nordflanke der gegen Bessarabien 
gerichteten Front zu bedrohen, hielten unsere Truppen un- 
erschütterlich stand und vereitelten alle Bemühungen des 
Feindes, durch irgend einen Erfolg den Eindruck der Nieder- 
lagen vor Lemberg zu mildern. 
Auch die bei Zaleszczyki, Potok—Zkoty und Koropiec über 
den Dnjester vorgedrungenen übrigen Teile der P fl a n z e r - 
Armee hatten sich wiederholter heftiger Angriffe zu erwehren, 
die trotz der aufgebotenen Kraft restlos scheiterten. 
So waren an der ganzen Dnjesterfront Kämpfe im 
Gange, die einen bedeutenden Teil der russischen Heeres- 
macht in Ostgalizien banden, als am 21. Juni der ent- 
scheidende Stoß der Armee Böhm-Ermolli gegen 
Lemberg erfolgte. 
Der Südflügel konnte nach Erstürmung einer Reihe 
gewichtiger Stützpunkte gegen die Hauptstellung auf den 
Höhen von Dornfeld und Demnia vordringen, der nörd- 
liche Flügel, das deutsche Beskideukorps, ging gegen die 
feindliche Hauptstellung bei Kuliküw vor. An der West- 
und Nordwestfront Lembergs aber war eine starke Artillerie 
vereinigt worden, die sich genau eingeschossen hatte. 
Blutigrot war am Abend des 21. Juni die Sonne hinter 
einem schwarzen Wolkenvorhang untergegangen. In der 
Nacht hatte es geregnet, und als der Tag anbrach, hing 
schweres Gewölk über den Vorbergen der Karpathen. Eine 
eigentümliche Stimmung, dumpf und schwer, lagerte über 
der Landschaft. Um 4 Uhr früh begann die Artillerie ihre 
vernichtende Arbeit, insbesondere gegen das Werk R^sna 
Polska und den Abschnitt Brzuchowice, die von schauer- 
licher Wirkung war. Schon um ? Uhr früh vermochte die 
Wiener Landwehr das Werk R^sna Polska im tapferen 
Ansturm zu nehmen, doch hatten die Russen eine zweite 
Widerstandslinie unmittelbar am Eingang der Janüwer- 
straße in die Stadt vorbereitet. 
Schwere Kämpfe hatte der linke Flügel um den Ver- 
teidigungsabschnitt Brzuchowice und die in diesem gelegene 
Höhe Lysa Gora zu bestehen, doch reihte sich auch hier Erfolg 
an Erfolg. In langen Schwarmlinien rückten die Nieder- 
österreicher zum Sturme gegen die feuerspeienden Höhen 
vor. Es machte ihnen nichts aus, daß sie dabei bis zu den 
Hüften im Morast versanken. Zäh, getreu und todesmutig 
rangen sie sich vorwärts, nur ein Ziel im Auge: Lemberg. 
Um 9 Uhr vormittags war das Werk 348 Brzuchowice 
samt den südlich anschließenden Jntervallbefestigungen er- 
stürmt, um 10Uhr 30 Minuten folgte Werk 322. Schließlich 
brach der Widerstand der Nordwestfront zusammen. Da 
das Beskidenkorps, das Kuliküw in der Nacht erstürmt hatte, 
über diesen Ort vordrang und der Südflügel der Armee 
Mackensen Zükkiew eroberte, traten die Russen den Rück- 
zug an. Unter kurzen, aber heftigen Nachhutgefechten schoben 
sich die Sieger nun auch von Dornfeld und Demnia aus 
immer näher an das Weichbild der Stadt heran. Durch 
alle Ährenfelder huschten geduckt die graublauen Gestalten, 
überall blitzte es von Bajonetten. Immer vorwärts, immer 
vorwärts! Eine fürchterliche Detonation erschütterte die 
Luft, gewaltige Rauchwolken wirbelten hundert Meter hoch 
empor und wälzten sich im ruhigen Winde davon. Das
	        
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