Volltext: Die orientalische Periode in der Geschichte des jüdischen Volkes (1 ; 1937)

Die babylonische Hegemonie (6j8—1099) 
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Oberrabbiner von Kaiman Chananel ben Chuschiel und Nissim ben 
Jakob, beschränkten sich denn auch darauf, Monographien, die Ein 
zelprobleme des Rechts und des Ritus behandelten, oder fortlaufende 
Kommentare zum Talmud zu schreiben. Die meisten dieser zum Teil 
in arabischer Sprache verfaßten Untersuchungen sind jedoch ver 
schollen. Bemerkenswert ist es, daß die beiden genannten Gelehrten 
von Kaiman (oben, § 66), die in regem Verkehr mit den akademi 
schen Kreisen des Heiligen Landes standen, in ihren kommentatori- 
schen Schriften nicht nur den Babylonischen Talmud, sondern auch 
sein palästinensisches Gegenstück, den bis dahin gänzlich vernach 
lässigten Jemsalemischen Talmud berücksichtigten. 
Der kürzeste Weg aber, auf dem der Talmud in das Leben der 
ganzen Diaspora eindrang, war, wie schon erwähnt, die Interpreta 
tion des Gesetzes, die die Gaonen und die »zwei heiligen Jeschiboth« 
von Sura und Pumbadita in Beantwortung der von nah und fern 
einlaufenden Anfragen in schriftlicher Form zu geben pflegten. Die 
sogenannten »gaonäischen Entscheidungen«, die in hebräischer, ara 
mäischer und zum Teil auch in arabischer Sprache abgefaßt wurden, 
nahmen mit der Zeit den Charakter von höchstinstanzlichen Ge 
richtsentscheidungen an und dienten, zu Sammlungen vereinigt, als 
Richtschnur für die Rechtsprechung der Ortsrichter. In der Ausle 
gung der Gesetze, insbesondere der Sabbat- und Speisegesetze, ließen 
sich die Gaonen und die ihnen zur Seite stehenden Gelehrtenkollegien 
Im allgemeinen von einem auf die Spitze getriebenen Rigorismus lei 
ten. Nicht minder streng legten sie das Zinsverbot der Bibel aus, 
das manche Gaonen auch auf mit Nichtjuden getätigte Geschäfte 
erstreckt wissen wollten. Reformistische Tendenzen traten vornehm 
lich in jenen Entscheidungen der Gaonen zutage, die das Familien 
recht betrafen. So wurde das Recht der Ehefrau, unter gewissen Vor 
aussetzungen die Scheidung zu verlangen, nicht unerheblich erwei 
tert, ebenso das Erbrecht der Tochter, der der Anspruch auch auf 
bewegliches Gut zuerkannt wurde. 
Außer den Fragen des Rechts und des Ritus behandelten die Gao 
nen in ihren Responsen auch zweifelhafte Volksbräuche, denen ge 
genüber sie sich im allgemeinen recht nachsichtig zeigten. Der im 
9. Jahrhundert wirkende Gaon von Pumbadita Natronai ben Hilai 
sanktionierte z. B. den Volksbrauch, am Vorabend des Jom-Kippur 
Hähne und Hennen als Sühnopfer zu schlachten (»Kaporoth«). In 
dessen fehlte es auch nicht an Versuchen, den Aberglauben des Vol 
kes in Schranken zu halten. Als sich die Gelehrten von Kairuan an
	        
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