Die babylonische Hegemonie (638—1099)
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Verkehr mit den Gaonen Babyloniens. Die eigentliche Blütezeit des
jüdischen Kulturzentrums in Nordafrika begann aber erst mit der
Entstehung des Kalifats der Fatimiden, deren Stammsitz, wie erin
nerlich, Kairuan gewesen war. Es traten nunmehr dort »Oberrabbi
ner« hervor, die — wie der aus Süditalien oder Byzanz stammende
R. Chuschiel, der durch seinen Briefwechsel mit dem Gaon Scherira
berühmt gewordene Jakob ben Nissim und deren Söhne Nissim und
Chananel (970—1050) — von der Nachwelt in den hohen Rang von
Gaonen erhoben wurden (vgl. unten, § 67). Indessen bildete Maghreb
nur eine Zwischenstation auf dem Wege des sich von Ost nach West,
von Asien nach Europa verschiebenden Zentrums der nationalen He
gemonie. Als die Berberländer von Ägypten abfielen und zur Do
mäne der kriegerischen, eine strenge Askese predigenden Sekte der
Almoraviden und später der Almohaden wurden, geriet das provi
sorische nordafrikanische Zentrum in Verfall und die besten geistigen
Kräfte der dortigen Judenheit wanderten nach Spanien aus.
Die Wendung in der jüdischen Geschichte, die mit dem Wechsel
der geographischen Grundlage der nationalen Hegemonie verbunden
war, bildet den Gegenstand einer Sage aus dem 12. Jahrhundert, die
die Ereignisse folgendermaßen versinnbildlicht. Um die Mitte des
10. Jahrhunderts seien Sendboten aus Babylonien, die den Auftrag
gehabt hätten, Spenden für gemeinnützige Zwecke zu sammeln, in
der Nähe des griechischen Archipels in Gefangenschaft geraten und
von ihren Glaubensgenossen an verschiedenen Orten Mann für
Mann losgekauft worden. Einer der Gefangenen, Schemaria ben El-
chanan, habe in Alexandrien die Freiheit wiedererlangt und sei spä
ter zum Oberhaupt der ägyptischen Juden gewählt worden. Einen
anderen, R. Chuschiel, habe man nach Kairuan verschleppt, wo ihn
die Judenheit von Maghreb zu ihrem geistigen Führer gemacht habe.
Außer diesen uns schon bekannten Gelehrten erwähnt die Sage fer
ner einen losgekauften Gefangenen namens Moses, der zusammen
mit seinem Sohne Chanoch nach Spanien verschlagen worden sei.
Dort seien beide zu Pionieren der rabbinischen Gelehrsamkeit im
Abendlande geworden. Die Vorsehung selbst, so schließt die Erzäh
lung, habe also noch vor dem Verfall der Akademien Babyloniens
für die Entstehung neuer Pflanzstätten des talmudischen Wissens
gesorgt.