Volltext: Die orientalische Periode in der Geschichte des jüdischen Volkes (1 ; 1937)

§ 66. Autonome Zentren in Palästina und Ägypten bis zu den Kreuzzügen 
1062) und zwei Jahre darauf auch mit der Gaonwürde betraut. Nach 
seinem vorzeitigen Tode blieb der Patriarchenstuhl zunächst unbe 
setzt, während die Gaonwürde an den Bruder des Salomo ha’Kohen, 
Elias, fiel (1062—1082). Um diese Zeit brachen über Palästina fol 
genschwere Ereignisse herein. Im Jahre 1071 besetzten die tür 
kischen Seldschuken Damaskus, Tiberias und auch Jerusalem, und 
für zwei volle Jahrzehnte wurde das ganze Land zum Schauplatz 
unausgesetzter Kämpfe zwischen Türken und Ägyptern. Die Kriegs 
wirren erschütterten das neuerstandene palästinensische Zentrum 
bis auf den Grund. Der Gaon Elias sah sich genötigt, zusammen mit 
seinem Gelehrtenkollegium sich nach der Stadt Tyrus zurückzuzie 
hen, die, wie der ganze Küstenstrich, fest in der Hand der Fatimiden 
geblieben war. Zu den Schicksalsschlägen von außen kamen innere 
Zwistigkeiten. Dem Nachfolger des Elias im Gaonamte, seinem Sohn 
Ebjatar, trat als Rivale der inzwischen volljährig gewordene Sohn 
des Nassi und Gaon Daniel ben Asarja, David ben Daniel, entgegen. 
Durch allerlei Schliche gelang es ihm, die Gunst der Machthaber von 
Kairo zu erlangen und seine Einsetzung sowohl in das Amt eines 
Exilarchen aller Provinzen des Fatimidenreiches mit Einschluß Pa 
lästinas als auch in das eines Gaon zu erwirken. Der Gaon Ebjatar 
mußte zunächst dem Gegengaon weichen, und erst im Jahre 1093 
kamen die Vertreter beider Parteien in einer zu Tyrus abgehaltenen 
Versammlung zu dem gemeinsamen Beschluß, daß ein Mann, der 
sich selber »Exilarch«, d. h. Haupt der Verbannten, nenne, nicht die 
entscheidende Instanz für Palästina, die Urheimat des Volkes, sein 
könne. Ebjatar konnte seitdem ungestört seines Amtes walten, doch 
war seiner Wirksamkeit nur noch eine kurze Frist bemessen. Schon 
im Jahre 1099 wurde Jerusalem eine Beute der von Westeuropa her 
auf dem Wege über Byzanz heranstürmenden Kreuzfahrer. 
Das dritte jüdische Zentrum, das neben Palästina und Ägypten 
das Erbe Babyloniens angetreten hatte, war die bereits im 9. Jahr 
hundert entstandene Kulturoase im Maghreb (das nordafrikanische 
Gebiet westlich von Ägypten). Die Hauptstadt dieses weitausgedehn 
ten, von verschiedenen Berberstämmen bewohnten, lange Zeit hin 
durch von den Abbassiden beherrschten Gebietes war Kaiman, das 
den Güteraustausch zwischen Asien und dem äußersten Westen Euro 
pas vermittelte. In Kairuan sowie in anderen Städten des Maghreb 
(Tlemsen, Fez usw.) waren schon in frühislamitischer Zeit jüdische 
Kolonien entstanden. Im 10. Jahrhundert traten die Gelehrten von 
Kairuan, die Leiter der dortigen Jeschiboth, in regen schriftlichen
	        
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