Volltext: Die orientalische Periode in der Geschichte des jüdischen Volkes (1 ; 1937)

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§ S- Die ursprüngliche Kultur und Religion Israels 
Schon aus dieser Gegenüberstellung ist zu ersehen, daß bei aller 
Gemeinsamkeit der Rechtsprinzipien, so des Prinzips der Vergeltung 
(»Zahn um Zahn«), das Rechtsbewußtsein der Israeliten doch auch 
wieder von dem der anderen Altorientalen erheblich abwich. Aus 
einem ins Einzelne durchgeführten Vergleich der beiden Rechtsquel 
len ergibt sich, daß die alten Israeliten humaneren Grundsätzen hul 
digten als ihre Nachbarn, insbesondere hinsichtlich der Sklaven. So 
schreibt z. B. das »Bundesbuch« vor, einen israelitischen Sklaven 
schon nach sechs Jahren ohne Entgelt freizulassen (Exodus 21, 2), eine 
Bestimmung, die dem altorientalischen Recht gänzlich fremd ist. 
In engstem Zusammenhang mit dem »Bundesbuch« stehen die 
»Zehn Gebote«, der Dekalog, zu dem sich gleichfalls eine Parallele 
in dem aus dem XVI. vorchristlichen Jahrhundert stammenden ägyp 
tischen »Totenbuch« findet. Heißt es in den zehn Sinaigeboten: »Du 
sollst nicht töten, nicht stehlen, nicht ehebrechen«, so bekennt auch 
der fromme Ägypter im Totenreiche vor seinem Gott Osiris: »Ich 
habe nicht getötet, nicht gestohlen, nicht die Ehe gebrochen«. Wenn 
es zutrifft, daß das »Bundesbuch« bereits zur Richterzeit in schrift 
licher Form vorlag, so ist anzunehmen, daß auch die knappen For 
meln des Dekalogs schon damals als Inschriften etwa auf Stein 
oder Erztafeln (»Luchoth«) angebracht und von den Priestern auf 
bewahrt wurden. Die von diesen geheimgehaltenen Keilschrift- 
Zeichen mochten im Gegensatz zu der später erfundenen weltlichen 
Schriftart als »göttliche Schriftzeichen« (Exodus 32, 16) gegolten 
haben. 
Von welcher Art aber war nun die Religion Israels als solche? 
Es ist bereits darauf hingewiesen worden, wie sich bei den nomadi 
sierenden und halb seßhaften Israeliten die allgemeine semitische 
Vorstellung von einer über Natur und Menschen waltenden Gottheit 
dank Moses zum Begriff eines die besonderen Schicksale des Volkes 
lenkenden Gottes gewandelt, wie sich der Gattungsname »Elohim« 
oder »El«, der soviel wie Kraft, Macht bedeutet, zu »Jahve, dem 
Gott Israels« verdichtet hatte (oben, § 2). Damit hatte das religiöse 
Bewußtsein des Volkes zwar noch nicht das Stadium des Mono 
theismus erreicht, wohl aber die zu diesem hinüberleitende Zwischen 
stufe des »Henotheismus«, jener Auffassung nämlich, die neben dem 
einzigen göttlichen Beschützer des eigenen Volkes diesem feindliche 
fremde Götter fortbestehen läßt. So bedeutete z. B. der Sieg Israels 
über Moab oder Ammon zugleich den Sieg Jahves über den Gott der 
Feinde, Kamos (vgl. Richter 11, 24). Jahve, von dem es ausdrücklich 
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