Das römische Protektorat (63 vor der chrisl. bis 6 der christl. Ära)
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aneinander sowie an das Mutterland und desto fester wurden die
alle zusammenhaltenden nationalen Bande.
Das Hauptzentrum der Diaspora war nach wie vor Ägypten,
das im Jahre 30 vor der christl. Ära zu einer römischen Provinz
geworden war und bereits ein halbes Jahrhundert später bei einer
Gesamtbevölkerung von etwa acht Millionen eine Million jüdischer
Einwohner zählte. Die ägyptischen Juden erfreuten sich voller Gleich
berechtigung und überdies einer weitgehenden Selbstverwaltung, da
Julius Caesar wie Augustus in ihnen die zuverlässigste Bevölkerungs
schicht des niedergerungenen Ptolemäerreiches sahen. Unter den
vielen ägyptischen Gemeinden ragte in jeder Hinsicht die von
Alexandrien hervor, wo von fünf Stadtbezirken zwei vorwiegend
von Juden bewohnt waren. An der Spitze des die Gemeinde ver
waltenden Ältestenrates, der »Gerusia«, stand der Ethnarch und spä
ter der »Alabarch« (eine Bezeichnung, deren Etymologie rätselhaft
bleibt); diesem oblag die Steuereintreibung, und er besaß infolge
dessen einen bedeutenden politischen Einfluß. Die Tatsache, daß die
neuen Herren Ägyptens der jüdischen Bevölkerung über das Voll
bürgerrecht hinaus auch noch die innere Autonomie zuerkannt hat
ten, führte indessen dazu, daß sich die Mißgunst der romfeindlichen
Griechen gegen die Juden, die ihnen als Handelsrivalen schon längst
ein Dorn im Auge waren, noch weiter verschärfte. Dieser sowohl
auf politische als auf wirtschaftliche Gründe zurückgehende Gegen
satz sollte gar bald in eine offene Judenhetze ausarten (unten, § 44).
Der Verkehr der ägyptischen Kolonie mit dem jüdischen Mutter
lande war in der Epoche des römischen Protektorats besonders rege.
Zwar bestand der Oniastempel mit dem Opferaltar zu Leontopolis
weiter fort (oben, § 36), doch wallfahrteten, wie ein Zeitgenosse,
der jüdische Philosoph Philo, bezeugt, »viele Tausende zu jedem
Feste nach dem Tempel (in Jerusalem)«, für dessen Unterhalt im
ganzen Nillande auch regelmäßig Abgaben entrichtet zu werden
pflegten. Die überwiegende Mehrheit der Juden Ägyptens mußte
sich allerdings mit der Teilnahme am öffentlichen Gottesdienst in
den im Lande selbst bestehenden Synagogen begnügen. Durch be
sondere Pracht zeichnete sich die Hauptsynagoge von Alexandrien
aus, in der (einem talmudischen Bericht zufolge) jeder der in der
Gemeinde vertretenen Berufsgruppen ein besonderer Platz zugeteilt
war: »Die Goldschmiede saßen für sich, die Silberschmiede für sich,
dann kamen die Schmiede, dann die Erzgräber, die Weber. Kehrte
dort ein Fremder oder ein Hilfsbedürftiger ein, so erkannte er so