Das römische Protektorat (63 vor der christl. bis 6 der christl. Ära)
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Vaters geerbt, nicht aber dessen staatsmännische Begabung. Seine
erste Tat nach der formellen Regierungsübernahme war die end
gültige Vernichtung der schon von Varus dezimierten Revolutions-
partei. Gleich Herodes völlig gleichgültig den für das Volk heiligen
Gesetzen und Gebräuchen gegenüber, behandelte er die Hohenpriester
wie subalterne Beamte, indem er sie willkürlich ein- und absetzte.
Von seinem Vater hatte er auch seine Vorliebe für kostspielige Neu
bauten geerbt. So ließ er den Königspalast zu Jericho umbauen und
aufs prachtvollste ausschmücken; überdies legte er in der Nähe der
Stadt die neue Siedlung Archelais an. Es vergingen neun Jahre. Das
Volk murrte. Doch Archelaus kümmerte die Unzufriedenheit seiner
Untertanen ebenso wenig wie die Erfüllung des seinerzeit Augustus
gegebenen Versprechens, mit Milde zu regieren. Als daher der Kaiser
durch eine jüdische Abordnung von der wahren Lage der Dinge in
Judäa Kenntnis erhielt, geriet er in heftigen Zorn und berief
Archelaus unverzüglich nach Rom. Da nun der Ethnarch die ihm
zur Last gelegten Übergriffe nicht in Abrede stellen konnte, wurde
er vom Kaiser seines Amtes enthoben und zur Verbannung nach
Gallien verurteilt (6 d. christl. Ära). Im gleichen Jahre wurde der
Beschützer des Archelaus, der Statthalter von Syrien, Varus, nach
Germanien versetzt, wo er drei Jahre später in der Schlacht im
Teutoburger Wald, in der die besten der römischen Legionen von
Hermann dem Cherusker vernichtet wurden, den Tod fand.
Während die Tetrarchien des Herodes-Antipas und des Philippus
auch nach der Absetzung des Archelaus als halbunabhängige Vasal
lenfürstentümer fortbestanden, wurde Judäa mit Einschluß von
Samaria und Edom der römischen Provinz Syrien angegliedert,
jedoch als ein von einem besonderen »Prokurator« verwaltetes
Gebiet. Damit war für Judäa die siebzigjährige Periode des römi
schen Protektorats zu Ende und es begann die der unmittelbaren
römischen Herrschaft.
5 41. Das geistige Leben in Judäa
Die Aufrichtung des römischen Protektorats in Judäa und der
Sturz der hasmonäischen Dynastie bezeichnen einen tiefen Ein
schnitt nicht nur in der politischen, sondern auch in der geistigen
Geschichte des jüdischen Volkes. Die Abhängigkeit der inneren
Politik des Landes von der internationalen Politik Roms hatte den