Das unabhängige Judäa unter den Hasmonäern
Hölle, Paradies u. dgl.) nahmen denn auch die Pharisäer, im Gegen
satz zu den formalistisch eingestellten Sadduzäern, dieses Dogma
in das System des Judaismus auf. Bezeichnend für die Weltanschau
ung der Pharisäer ist ferner der von ihnen angestrebte Ausgleich
zwischen dem Prinzip der Willensfreiheit und dem der Prädestina
tion — ein Kompromiß, durch das dem Menschen die Verantwor
tung für seine Handlungen auferlegt, zugleich aber auch die göttliche
Vorsehung nicht ausgeschaltet werden sollte.
Laut Bericht des Josephus Flavius konnten die Pharisäer sich ähn
licher moralischer Vorzüge rühmen wie die »griechischen Stoiker«.
Diese Feststellung ist insofern nicht ganz zutreffend, als die erhaben
sten Leitprinzipien des Stoizismus: Pflichtbewußtsein, Streben nach
sittlicher Vollkommenheit, Bezähmung der niederen Triebe und Stand
haftigkeit im Leiden, schon lange vor dem Auftreten der Pharisäer
wie auch der Stoa für die jüdische Ethik bezeichnend gewesen waren.
Neu war im Pharisäertum lediglich die untrennbare Verbindung der
sittlichen Zucht mit der religiösen und rituellen. Gewiß gab es auch
in den Reihen der Pharisäer Scheinheilige und Mucker, die soge
nannten »Zewuim« (Gefärbten), die das ganze Pharisäertum bei der
Nachwelt in Verruf bringen sollten; die harmonische Vermählung
von Frömmigkeit und Gerechtigkeit aber, wie sie in den berufensten
Vertretern dieser geistigen Bewegung verkörpert war, mußte jedem
Unvoreingenommenen tiefste Bewunderung einflößen.
Der hervorragendste Wortführer der Pharisäerpartei im Anfangs
stadium ihrer Entwicklung war der schon erwähnte Simon ben
Schetach (oben, § 33). Ein Meister der Gesetzeskunde, brachte er
die sadduzäische Mehrheit im Synhedrion oft dadurch in Verlegen
heit, daß er seine Gegner aufforderte, die Ableitung dieser oder jener
Gesetzesbestimmung aus der Thora zu begründen. Auch dem könig
lichen Sadduzäer Alexander-Jannäus sagte er furchtlos die Wahr
heit, sodaß er ständig in Gefahr schwebte. Nachdem er unter Salome-
Alexandra zum Haupte des Synhedrion geworden war, richtete
Simon im Namen der »heiligen Gemeinde Jerusalems« ein Schreiben
an die »Schwester Alexandrien«, d. i. die dortige Gemeinde, mit der
Bitte, seinen alten Kampfgenossen Juda ben Tabai, der vor den Ver
folgungen des Alexander-Jannäus nach Ägypten hatte flüchten müs
sen, in die Heimat zu entlassen: »Mein Gemahl — schrieb er — ist
bei dir, und ich sitze hier vereinsamt.« Nach der Heimkehr Judas
trat ihm Simon seine Würde als Vorsitzender des Synhedrion ab und
begnügte sich mit dem bescheideneren Amte des Vizepräsidenten.
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