§ 16. Das Reich Juda unter der Oberhoheit Assyriens (720—608)
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gestattete der für die Kultur des allgewaltigen Assyrien schwär
mende König Manasse, wieder auf den lokalen Altären zu opfern,
wobei die altkanaanitischen und assyrischen Kultformen den natio
nalen gleichgestellt wurden. In Jerusalem selbst wurden Standbilder
des Baal und der Astarte errichtet; unzüchtige Priesterinnen der
Fruchtbarkeitsgöttin, Zauberer und Geisterbeschwörer trieben sich
im Lande herum. Eine schwüle, unheilschwangere Atmosphäre lag
über diesem heidnischen Bacchanal. Mit dem Verzicht auf den Un
abhängigkeitskampf büßte das Volk seine höchsten Lebensimpulse
ein und verfiel der Demoralisation. Die Prophetenpartei versuchte
zwar, die Gegenreform zu bekämpfen, jedoch ohne Erfolg. Jesaja
war um diese Zeit nicht mehr am Leben, seine Jünger aber, die sein
Werk hingebungsvoll fortsetzten, wurden zu Märtyrern ihrer Idee:
man erschlug sie, als wären sie gemeine Hetzer. »Weil Manasse Juda
durch seine Götzen zur Sünde verführt hat — so verkündete einer
dieser von revolutionärem Mut erfüllten Männer — will ich, Jahve,
Unglück über Jerusalem und Juda bringen... Ich will über Jeru
salem die Meßschnur Samarias ziehen und Jerusalem auswischen,
wie man eine Schüssel auswischt und nach dem Wischen umstürzt«
(II. Könige 21, 11—13). Solche Drohungen nahmen die Feinde der
Propheten zum Vorwand, um diese des Hochverrats zu bezichtigen
und als Umstürzler zu verfolgen.
Auch der Tod Manasses, der fast ein halbes Jahrhundert regierte,
brachte, der nationalen Partei keine Hoffnung auf einen Umschwung
zum Besseren, da der neue König Amon (640—638) in allem der
Politik seines Vaters folgte. Eine Palastumwälzung führte jedoch
den Sturz des für das Land so schädlichen Regimes herbei, und schon
wenige Jahre nach dem Regierungsantritt des achtjährigen Sohnes
Amons, Josia oder Joschijafm (638—608), gewann die von natio
nalem Geist beseelte Prophetenpartei erneut entscheidenden Einfluß.
Wirkte sich der um sich greifende Assimilationsprozeß in Duldsam
keit dem assyrischen Polytheismus gegenüber aus, so war die höchste
Form des Jahvekultes, der ethische Monotheismus der Propheten,
unlöslich mit der nationalen Idee verbunden. Innerhalb eines Jahr
hunderts gelangte bald die eine, bald die andere Richtung zur Vor
herrschaft, und ihr Widerstreit ist es, der der judäischen Geschichte
in diesem ganzen Zeitalter ihr geistiges Gepräge verleiht.