§ Rabbinismus, Mystizismus und das Aufklärungswerk Mendelssohns
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Stadt, an dessen Gemeinde mehrere neue Kolonien in der näheren und
weiteren Umgebung (in Magdeburg, Halle usw.) angeschlossen waren.
Eine Einheit für sich bildete die Gemeinde von Berlin, die — unter
unmittelbarer Aufsicht der Zentralregierung stehend — sich häufig
die Einmischung der königlichen Behörden in ihre inneren Angele
genheiten gefallen lassen mußte. Anlaß hierzu gab wiederholt die
Spannung, die innerhalb der Gemeinde selbst zwischen ihren nicht
privilegierten Mitgliedern und den »Vergleiteten« bestand. Diese, die
»Schutzjuden«, waren es, auf deren Anregung die Gemeindewahlen
seit 1698 unter direkter behördlicher Kontrolle vor sich gingen. Der
Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. machte es der Berliner Gemeinde
zur besonderen Pflicht, für stramme Zucht in ihren Reihen zu sorgen,
keinerlei »Separationen« zu dulden und selbst für die Wahl eines
»Rabbi« die königliche Genehmigung einzuholen. Die autonome Ge
richtsbarkeit wurde dahin eingeschränkt, daß der Rabbiner in einem
innerjüdischen zivilrechtlichen Streit nur mit Einverständnis der bei
den Parteien Recht sprechen durfte. Die Entstehung eines Landes-
rabbinats in Schlesien (1744) ging auf einen ausdrücklichen Befehl
Friedrichs II. zurück, der sich hierbei einerseits von fiskalischen In
teressen, andererseits von dem Wunsche hatte leiten lassen, den schle
sischen Juden selbst die Sorge für die Eindämmung der jüdischen Zu
wanderung aufzubürden. Eine ausschließlich steuertechnische Maß
nahme war die vom Landgrafen von Hessen-Cassel verfügte Einfüh
rung eines periodisch zusammentretenden jüdischen Landtags, auf
dem unter dem Vorsitz eines Regierungskommissars die Repartierung
der Steuerlasten sowie die Wahl eines Oberrabbiners und Landesälte
sten vorgenommen zu werden pflegte (1690—1738).
5 Rabbinismus, Mystizismus und das Aufklärungswerk
Mendelssohns
Daß in der geschilderten Epoche die Judenheit Mitteleuropas
allen Eingriffen von außen zum Trotz sich mit besonderem Eifer dem
Ausbau ihrer autonomen Institutionen zuwandte, ging zweifellos auf
den Einfluß der aus Polen, dem klassischen Lande der jüdischen
Selbstverwaltung, zugewanderten Talmudgelehrten zurück. Der Ur
heber der bereits erwähnten Verfassung der Judenheit von Mähren,
Mendel Krochmal (oben, § 57) hatte, ehe er nach Nikolsburg
kam, das Rabbineramt im polnischen Krakau bekleidet. Aus Krakau