Volltext: Die europäische Periode in der Geschichte des jüdischen Volkes (2 ; 1937)

Periode der Organisierung der europäischen Judenheit bis zu den Kreuzzügen 
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Magdeburg, Merseburg und Regensburg. Jetzt, nachdem die Bischöfe 
zum Range von autonomen Statthaltern erhoben worden waren, hat 
ten sie alles Interesse daran, der fleißigen, den Staatsschatz mit be 
trächtlichen Mitteln speisenden jüdischen Bevölkerung ihren geist 
lich-weltlichen Schutz angedeihen zu lassen. Daher hatten die unter 
bischöflicher Vormundschaft stehenden deutschen Juden im io. und 
ii. Jahrhundert von Religionsnot am wenigsten zu leiden. Zwar 
wandte sich der Erzbischof von Mainz an Papst Leo VII. mit der 
Frage, ob es geraten sei, die Juden gewaltsam zu taufen; als er aber 
aus Rom einen negativen Bescheid erhielt, gab er sich damit gern zu 
frieden (937). Es war dies bereits in der Regierungszeit Ottos I., der 
viele jüdische Gemeinden in aller Form der ausschließlichen Jurisdik 
tion der Kirche unterstellte. So kamen kraft des kaiserlichen Dekrets 
vom Jahre 965 »die Juden und sonstigen Kaufleute« von Magdeburg 
unter die dortige Kirchengewalt. Die gleichen Vorrechte verlieh 
Otto II. (973—983) einigen rheinländischen Bischöfen. Dem Bischof 
von Merseburg gab er »alles von der Stadtmauer Umschlossene mit 
samt den Juden« (d. h. mitsamt den von den Juden zu zahlenden 
Steuern) zu Lehen. In den einschlägigen Urkunden werden hin und 
wieder jüdische Sonderviertel erwähnt, in denen sich die Juden aber 
ebenso wie in Frankreich aus freien Stücken anzusiedeln pflegten, 
nicht zuletzt um gegen die Ausschreitungen des Pöbels gesichert zu 
sein. 
Das Wohlwollen, das die Kaiser aus dem sächsischen Hause den 
Juden bezeugten, vergalten diese ihrerseits mit der Bekundung un 
verbrüchlicher Treue. Ein italienischer Jude, Kalonymos aus Lucca, 
der sich während des Feldzuges Ottos II. nach Italien im Gefolge des 
Kaisers befand, rettete diesem zweimal das Leben. Später ließ sich Ka 
lonymos in Mainz nieder, und seine Nachkommen standen lange Zeit 
hindurch an der Spitze der dortigen jüdischen Gemeinde. Gerade 
dort sollte es aber zu Judenverfolgungen kommen, die allerdings in 
der Zeit der sächsischen Dynastie, soweit wir unterrichtet sind, eine 
Ausnahmeerscheinung waren. Im Jahre 1012 gab nämlich Kaiser 
Heinrich II. plötzlich den Befehl, alle sich der Taufe widersetzenden 
Juden aus Mainz zu vertreiben. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde 
dieser Befehl durch dieselben falschen Gerüchte über jüdische Um 
triebe gegen palästinensische Christen verursacht, die einige Jahre 
früher schweres Unheil in Nordfrankreich heraufbeschworen hatten. 
Der Ausweisungsbefehl wurde indessen bald wieder rückgängig ge 
macht, und selbst diejenigen, die unter dem Zwange der Verhältnisse
	        
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