Periode der Organisierung der europäischen Judenheit bis zu den Kreuzzügen
44
Magdeburg, Merseburg und Regensburg. Jetzt, nachdem die Bischöfe
zum Range von autonomen Statthaltern erhoben worden waren, hat
ten sie alles Interesse daran, der fleißigen, den Staatsschatz mit be
trächtlichen Mitteln speisenden jüdischen Bevölkerung ihren geist
lich-weltlichen Schutz angedeihen zu lassen. Daher hatten die unter
bischöflicher Vormundschaft stehenden deutschen Juden im io. und
ii. Jahrhundert von Religionsnot am wenigsten zu leiden. Zwar
wandte sich der Erzbischof von Mainz an Papst Leo VII. mit der
Frage, ob es geraten sei, die Juden gewaltsam zu taufen; als er aber
aus Rom einen negativen Bescheid erhielt, gab er sich damit gern zu
frieden (937). Es war dies bereits in der Regierungszeit Ottos I., der
viele jüdische Gemeinden in aller Form der ausschließlichen Jurisdik
tion der Kirche unterstellte. So kamen kraft des kaiserlichen Dekrets
vom Jahre 965 »die Juden und sonstigen Kaufleute« von Magdeburg
unter die dortige Kirchengewalt. Die gleichen Vorrechte verlieh
Otto II. (973—983) einigen rheinländischen Bischöfen. Dem Bischof
von Merseburg gab er »alles von der Stadtmauer Umschlossene mit
samt den Juden« (d. h. mitsamt den von den Juden zu zahlenden
Steuern) zu Lehen. In den einschlägigen Urkunden werden hin und
wieder jüdische Sonderviertel erwähnt, in denen sich die Juden aber
ebenso wie in Frankreich aus freien Stücken anzusiedeln pflegten,
nicht zuletzt um gegen die Ausschreitungen des Pöbels gesichert zu
sein.
Das Wohlwollen, das die Kaiser aus dem sächsischen Hause den
Juden bezeugten, vergalten diese ihrerseits mit der Bekundung un
verbrüchlicher Treue. Ein italienischer Jude, Kalonymos aus Lucca,
der sich während des Feldzuges Ottos II. nach Italien im Gefolge des
Kaisers befand, rettete diesem zweimal das Leben. Später ließ sich Ka
lonymos in Mainz nieder, und seine Nachkommen standen lange Zeit
hindurch an der Spitze der dortigen jüdischen Gemeinde. Gerade
dort sollte es aber zu Judenverfolgungen kommen, die allerdings in
der Zeit der sächsischen Dynastie, soweit wir unterrichtet sind, eine
Ausnahmeerscheinung waren. Im Jahre 1012 gab nämlich Kaiser
Heinrich II. plötzlich den Befehl, alle sich der Taufe widersetzenden
Juden aus Mainz zu vertreiben. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde
dieser Befehl durch dieselben falschen Gerüchte über jüdische Um
triebe gegen palästinensische Christen verursacht, die einige Jahre
früher schweres Unheil in Nordfrankreich heraufbeschworen hatten.
Der Ausweisungsbefehl wurde indessen bald wieder rückgängig ge
macht, und selbst diejenigen, die unter dem Zwange der Verhältnisse