Volltext: Die europäische Periode in der Geschichte des jüdischen Volkes (2 ; 1937)

§ 43• Die Judenheit Mitteleuropas bis 2um Ende des Dreißigjährigen Krieges 
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sollte die Einwohnerschaft des Ghettos auf 500 Familien beschränkt 
bleiben und* die Zahl der durch Eheschließung neubegründeten Haus 
halte höchstens zwölf im Jahr betragen. Außerhalb des Ghettos durf 
ten sich seine Insassen, denen eingeschärft wurde, daß sie nicht 
»Bürger«, sondern bloß »Schutzangehörige des Stadtrats« seien, 
lediglich zu Geschäftszwecken aufhalten und sich nie ohne das 
gelbe Rädchen am Obergewand zeigen. In ihrer Handelstätigkeit 
auf Schritt und Tritt gehemmt, wurden die Frankfurter Juden den 
noch in rücksichtslosester Weise zur Leistung von Kriegssteuern her 
angezogen, und die Führer der durchziehenden Reichstruppen, Tilly, 
Mansfeld und wie sie alle hießen, preßten ihnen jedesmal riesige 
Sondertribute ab. »Wovon sollen wir Juden denn leben?« — klagten 
sie in ihrer Verzweiflung in einer im Jahre 1636 an den Magistrat 
gerichteten Eingabe. Ihr Hinweis darauf, daß sie infolge der für sie 
geltenden Rechtsbeschränkungen durch die Kriegs wirren mehr ge 
schädigt seien als die anderen Bevölkerungsteile, verhallte wirkungs 
los. Ein gewisser Trost für sie mochte darin bestanden haben, daß 
sie als eines der ergiebigsten Ausbeutungsobjekte in den Jahrzehnten 
des Massenmordes in Deutschland keine speziell gegen sie gerichteten 
Ausschreitungen zu erdulden hatten. 
Einen eigenartigen Verlauf hatte seit dem ausgehenden Mittel- 
alter die Geschichte der Juden in Ungarn genommen. Bis 1526, dem 
Jahr der Schlacht bei Mohacs, genossen sie im ganzen Lande die 
ihnen einst von König Bela IV. verbrieften Rechte und Freiheiten 
(oben, § 23). Unter den zwei von 1490 bis 1526 regierenden Herr 
schern aus der polnischen Jagellonendynastie, Wladislav und Lud 
wig, waren sie bei Hofe durch einen amtlich anerkannten Vorsteher, 
den sogenannten »Judenpräfekten«, vertreten — eine Würde, mit 
der die Verantwortung für den Eingang der der jüdischen Bevöl 
kerung auferlegten Steuern verbunden war. Unter König Ludwig 
hatte ein Jude aus Kaschau namens Isaak auch das Amt eines 
»Monetarius«, d. h. Münzmeisters des Reiches inne, weshalb die 
damals geschlagenen Münzen »Isaakiden« genannt wurden. Nach 
1526 geriet der östliche Teil des Landes mitsamt der Hauptstadt 
Ofen-Buda unter türkische Herrschaft, während die westliche Hälfte, 
wie erinnerlich, dem Habsburgerhause zufiel. Im Gegensatz zu den 
neuen jüdischen Untertanen der Türkei, die allen Grund hatten, mit 
der ihnen zuteil werdenden Behandlung zufrieden zu sein, sahen sich 
ihre Stammesgenossen in Westungarn, nicht zuletzt weil sie als tür 
kenfreundlich galten, den schlimmsten Verfolgungen ausgesetzt.
	        
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