§ 43• Die Judenheit Mitteleuropas bis 2um Ende des Dreißigjährigen Krieges
373
sollte die Einwohnerschaft des Ghettos auf 500 Familien beschränkt
bleiben und* die Zahl der durch Eheschließung neubegründeten Haus
halte höchstens zwölf im Jahr betragen. Außerhalb des Ghettos durf
ten sich seine Insassen, denen eingeschärft wurde, daß sie nicht
»Bürger«, sondern bloß »Schutzangehörige des Stadtrats« seien,
lediglich zu Geschäftszwecken aufhalten und sich nie ohne das
gelbe Rädchen am Obergewand zeigen. In ihrer Handelstätigkeit
auf Schritt und Tritt gehemmt, wurden die Frankfurter Juden den
noch in rücksichtslosester Weise zur Leistung von Kriegssteuern her
angezogen, und die Führer der durchziehenden Reichstruppen, Tilly,
Mansfeld und wie sie alle hießen, preßten ihnen jedesmal riesige
Sondertribute ab. »Wovon sollen wir Juden denn leben?« — klagten
sie in ihrer Verzweiflung in einer im Jahre 1636 an den Magistrat
gerichteten Eingabe. Ihr Hinweis darauf, daß sie infolge der für sie
geltenden Rechtsbeschränkungen durch die Kriegs wirren mehr ge
schädigt seien als die anderen Bevölkerungsteile, verhallte wirkungs
los. Ein gewisser Trost für sie mochte darin bestanden haben, daß
sie als eines der ergiebigsten Ausbeutungsobjekte in den Jahrzehnten
des Massenmordes in Deutschland keine speziell gegen sie gerichteten
Ausschreitungen zu erdulden hatten.
Einen eigenartigen Verlauf hatte seit dem ausgehenden Mittel-
alter die Geschichte der Juden in Ungarn genommen. Bis 1526, dem
Jahr der Schlacht bei Mohacs, genossen sie im ganzen Lande die
ihnen einst von König Bela IV. verbrieften Rechte und Freiheiten
(oben, § 23). Unter den zwei von 1490 bis 1526 regierenden Herr
schern aus der polnischen Jagellonendynastie, Wladislav und Lud
wig, waren sie bei Hofe durch einen amtlich anerkannten Vorsteher,
den sogenannten »Judenpräfekten«, vertreten — eine Würde, mit
der die Verantwortung für den Eingang der der jüdischen Bevöl
kerung auferlegten Steuern verbunden war. Unter König Ludwig
hatte ein Jude aus Kaschau namens Isaak auch das Amt eines
»Monetarius«, d. h. Münzmeisters des Reiches inne, weshalb die
damals geschlagenen Münzen »Isaakiden« genannt wurden. Nach
1526 geriet der östliche Teil des Landes mitsamt der Hauptstadt
Ofen-Buda unter türkische Herrschaft, während die westliche Hälfte,
wie erinnerlich, dem Habsburgerhause zufiel. Im Gegensatz zu den
neuen jüdischen Untertanen der Türkei, die allen Grund hatten, mit
der ihnen zuteil werdenden Behandlung zufrieden zu sein, sahen sich
ihre Stammesgenossen in Westungarn, nicht zuletzt weil sie als tür
kenfreundlich galten, den schlimmsten Verfolgungen ausgesetzt.