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Erstes Kapitel
Die Periode der Kolonisierung Europas bis
zur Eroberung Spaniens durch die Araber
(711)
§ 1. Die ältesten jüdischen Siedlungen in Italien
Die Juden, die an der asiatischen Küste des Mittelmeeres von
altersher heimisch waren, tauchten an seiner europäischen Küste erst
auf, als die Grenzlinie zwischen Orient und Okzident sich durch die
Eroberungen der Griechen und Römer zu verwischen begann. Hatten
die Eroberungen Alexanders von Mazedonien die Entfaltung der jü
dischen Kolonien in den an Palästina angrenzenden Ländern geför
dert, so sollten die römischen Eroberer des Morgenlandes der »großen
Diaspora« auch den Weg nach dem Westen bahnen. Die Ausbreitung
der politischen Macht zunächst der Griechen und dann der Römer
war mit einem mächtigen Aufschwung des Handelsverkehrs zwischen
den östlichen Zentren der Diaspora und den europäischen Küsten
gebieten des Mittelmeeres verbunden. Dem Austausch der Güter mußte
aber bald ein Austausch der Handeltreibenden selbst folgen. Je
mehr sich die jüdisch-hellenistische Diaspora im Morgenlande wirt
schaftlich entwickelte, desto weiter reichten daher auch ihre Zweige
nach dem Abendlande hin, wo sowohl ergiebige Möglichkeiten für
die Ausfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse, als auch neue Märkte
für den Absatz orientalischer Waren erschlossen werden konnten. In
den ersten sieben Jahrhunderten der christlichen Ära, in der Periode
der Kolonisierung Europas durch die Juden, hatte somit dieser Erdteil
für die alten Zentren der Zivilisation in Asien und Afrika dieselbe
Bedeutung einer »Neuen Welt«, wie sie dereinst das transatlantische
Amerika für das alternde Europa gewinnen sollte.
Das älteste jüdische Kolonisationsgebiet in Europa bildeten die
Balkan- sowie die Apenninische und Pyrenäische Halbinsel, d. h. Grie