Volltext: Weltkriegsliteratur (Ergänzungsheft 7 Hauptbd. 1933)

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Frauenholz 
beizubehalten, oder ob es einem Zerfall, ähnlich dem des römischen 
Weltreiches entgegengeht. Der Weltkrieg ist weniger der Abschluß einer 
alten Zeit als das erste gewaltsame Ereignis an der Schwelle der neuen 
und hat in seinem ungeahnten Ausmaß Fragen aufgeworfen, die ohne 
ihn vielleicht noch eine Zeitlang in Schwebe geblieben wären, mit denen 
sich die Menschheit aber doch einmal auseinanderzusetzen gehabt hätte. 
Jede Zeit hat ihre besonderen Ideen und ihr besonderes Gepräge. 
Die jüngst verflossene Epoche von der großen französischen Revolution 
bis zum Weltkrieg suchte die Lösung des europäischen Staatensystems 
im Zusammenschluß von nationalen Staaten. Heute werden wir uns zu 
fragen haben, ob dieser an sich gewiß gesunde und aus der Überliefe¬ 
rung erwachsene Grundsatz noch die ausschließlich tragende Kraft 
hat, die das XIX. Jahrhundert von ihm erwartet hatte. Das bedrohte 
Europa wird noch weitergehende Zusammenschlüsse als die nach Na¬ 
tionen finden müssen, ohne deshalb den Nationalitätsgedanken und das 
Nationalitätsgefühl seiner Mitglieder zu verletzen oder zu vernichten. 
Wie schwer dies ist, zeigen alle nach dem Weltkrieg bisher geführten 
internationalen Verhandlungen. 
Österreich-Ungarn war vor dem Weltkrieg die einzige europäische 
Großmacht, die die grundsätzliche Wandlung zum Nationalitätenstaat 
nicht mitgemacht hat und nach ihrer ganzen Struktur nicht mitmachen 
konnte. Wer sich mit der Frage der Neugestaltung Europas befaßt, wird 
daher der österreichischen Geschichte vor und in dem Weltkrieg be¬ 
sondere Teilnahme entgegenbringen. Die Schwierigkeiten, mit denen 
Österreich-Ungarn zu kämpfen hatte, werden heute angesichts der euro¬ 
päischen Schwierigkeiten eine gerechtere Beurteilung finden als zur da¬ 
maligen Zeit. 
Wer sich heute berufen fühlt, an einer Neuordnung der Dinge mit¬ 
zuarbeiten — und jeder Gebildete, Führende hat in seinen Kreisen die 
Pflicht dazu —, der darf an der Geschichte des Weltkrieges nicht achtlos 
vorübergehen. Verloren, für Sieger und Unterlegene, wäre der Weltkrieg 
erst, wenn wir darauf verzichteten, die Lehren des gewaltigen Er¬ 
eignisses für die Zukunft zu nützen. Einfach weltbeglückende — meist 
nicht neue — Ideologien als Basis für eine neue Ordnung aufzustellen, 
führt zu nichts. Man muß sich der viel schwereren Aufgabe unterziehen, 
die wirklichen Grundlagen der harten Staatengebilde der Welt und ihrer 
Beziehungen zueinander zu erkennen, die der Weltkrieg in helleres Licht 
gerückt hat.
	        
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