Volltext: Stephan Rottaler

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der größeren Maßverhältnisse halber breiter behandelt als die übrigen Bildwerke 
und wirken in den Bartkringeln auch etwas altertümlicher als jene. Dennoch 
sind sie von gleicher Hand, aus gleicher Zeit und rühren sicher ebenfalls von 
dem Vesperstuhle her. An der einen Reliefbüste, die wie die sämtlichen Schnitz¬ 
werke in Lindenholz ausgeführt sind, ist ein Schriftband mit der Jahreszahl 1524 
angebracht. Es ist aus dem gleichen Eichenholz wie die Stichbogen der drei 
größeren Reliefs geschnitten. Der Stil der Bilder entspricht durchaus dieser Zeit, 
so daß wir unbedenklich die Jahreszahl 1524 als Entstehungsdatum des Vesper¬ 
stuhles annehmen dürfen. 
Wer der Meister dieses hervorragenden Werkes war, ist uns nicht über¬ 
liefert. Die Vollendung und Reife und ebenso die technische Routine, mit der 
das Schnitzmesser spielend wie ein Pinsel oder Griffel geführt wurde, deuten auf 
einen Meister, der vorher manch anderes Bild geschaffen haben muß. Man denkt 
zunächst an den um diese Zeit in Landshut ansässigen Hans Leinberger. Ein 
Vergleich der Reliefs mit den sicher beglaubigten Arbeiten dieses Meisters weist 
eine solche Möglichkeit aber schlankweg zurück. Neben Leinberger kann, soweit 
wir den Denkmälerschatz des Grenzgebietes von Ober- und Niederbayern über¬ 
blicken können, nur noch ein Meister für diese Zeit in Frage kommen, der Mono¬ 
grammist S. R.Auf ihn weisen denn auch eine Reihe stilistischer Eigen¬ 
tümlichkeiten der Vesperstuhl-Reliefs, die sich nicht durch den allgemein herr¬ 
schenden „Zeitstil“ erklären lassen, schon deshalb nicht, weil Arbeiten auch 
nur ähnlicher Ausdrucksformen, jene des Meisters S. R. ausgenommen, fast 
ganz fehlen. 
Von grundlegender Berücksichtigung für den Vergleich mit den Schnitzwerken 
des S. R. muß hier festgehalten werden, was wir schon oben dargelegt haben, 
die technischen Unterschiede, die in der Polychromierung bezw. Farblosigkeit 
der Reliefs gründen, dann aber auch die aus der verschiedenen Zweckbestimmung 
und beabsichtigten Wirkung sich ergebenden Wandlungen. Die Reliefs des Reis¬ 
bacher Hochaltars sollten möglichst weit dem Beschauer sichtbar sein; daher 
große, klare, einfache Formen, denen freilich die jetzige grell bunte Fassung 
nicht gerecht wird. Die Reliefs des Vesperstuhles sind fast kleinbildnerische 
Arbeiten, die sich den reichen Erzählungen des ihnen ehedem benachbarten Chor¬ 
gestühls in St. Martin zu Landshut eng anschlossen und ein liebevolles Versenken 
in alle Einzelheiten, in jedes Figürchen, jede Miene, jedes Fleckchen Erde fordern. 
Trotz der Unterschiede erkennen wir aber auch in vielen Zügen unsern Meister 
wieder, so vor allem in dem Aufbau und Duktus der Figuren. Man halte 
nur den hl. Wolfgang von dem Reisbacher Altarflügel neben den Täufer oder 
auch neben den hl. Georg an der Predella des Marolt-Altars; man vergleiche den 
knienden Kaiser mit dem Figürchen des Hans Esterreicher in Ingolstadt! Man 
betrachte vor allem auch die dickköpfigen und kurzhalsigen Engelchen auf den 
beiden Marienreliefs, die in ihrem schalkhaften Versteckspiel die leibhaftigen 
Brüder der Putten auf den Monumenten des Thomas Löffelholz, des Hans 
von Klosen, des Alexander Leberskircher u. a. sind. Man prüfe die mitleidig 
sinnenden Züge im Gesichte des hl. Martinus, wie sie durchaus jenen des 
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