Volltext: Stephan Rottaler

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Läßt sich die Gestalt St. Korbinians schließlich auch aus mittelalterlichen 
Grabsteinen heraus erklären, so kann man sich die kecke malerische Rücken¬ 
ansicht St. Sigismunds kaum ohne Vorbild denken. Sollte man sie nicht am 
Ende auf allgemeine Anregungen in Dürers Stichen und Schnitten, die für solche 
Gestalten unzählige Beispiele bieten, zurückführen dürfen? 1 
Unverhüllt zeigt sich Dürer aber noch in dem kleinen Relief der Anbetung 
der Könige; ihm ist der entsprechende Holzschnitt aus dem „Marienleben“ (vor 
1506, B. 87) zugrunde gelegt.1 2 
Woher aber nahm der Meister seine Architekturen? Es dürfte kaum einem 
Zweifel begegnen, dass auch hier wie allerorten Druckerzeugnisse die Wege ge¬ 
wiesen haben. Wie anders hätte er zur Kenntnis der neuen Formen kommen 
können? Diese Annahme gewinnt an Wahrscheinlichkeit dadurch, daß wenigstens 
eine der Nischenumrahmungen — freilich die altertümlichste —, jene des hl. 
Paulus, auf einen Holzschnitt zurückgeht. Sie ist gleichfalls dem Marienleben 
Dürers und zwar dem Blatte „Joachim und Anna unter der goldenen Pforte“ 
von 1504 (B. 79) entlehnt (Abb. 4). Hier offenbart sich die Freude des aus der 
Gotik erwachsenen Steinmetzen am einzelnen und an seinem hohen Vorbild aufs 
deutlichste, denn nicht allein, daß er genau die künstlichen Verschlingungen des 
Astwerks nachmeißelt, er geht sogar so weit, in denselben die Figürchen mit all 
ihren Einzelheiten beizubehalten. 
Die Abhängigkeit von Dürer erklärt aber nun auch zur Genüge die stili¬ 
stischen Unterschiede der einzelnen Teile und den Wechsel des Materials. In 
dem Schrein gab der Meister sich noch wesentlich selbständig; sieht man von 
den Pilastern ab, so deutet kaum etwas auf die neue Zeit; er ist noch der Gotiker. 
Im Verlaufe der Arbeit aber ward ihm die Kenntnis Dürerscher Kraft und Größe, 
der er sich nicht verschließen konnte. Sie wiesen ihm neue Pfade. 
In seiner Stellung an der Grenze zweier Welten verdient der Marolt-Altar 
besonderes Interesse. Marolt starb am 13. Juni 1513, im gleichen Jahre, in dem 
auch die beiden Messen auf dem Altar gestiftet wurden. Dasselbe Jahr darf wohl 
auch für die Entstehung des Altars angenommen werden. Wie schon oben an¬ 
gedeutet, hat Marolt wohl selbst noch den ganzen Plan des Denkmals, wenigstens 
dem stofflichen Inhalte nach, bestimmt. 
Der jetzige gerade Abschluß des Mittelfeldes läßt deutlich erkennen, daß der 
Altar ursprünglich noch eine Bekrönung hatte. Ueber ihre ungefähre Form 
unterrichtet uns eine Zeichnung aus der Zeit um 18003 (Abb. 5). Darnach 
1 Der altbayerischen Malerei jener Zeit sind ja solche Posen nicht fremd und auch in 
spätgotischen Altarreliefs treten sie ab und zu auf; neu ist das Wagnis, sie statuarisch zu ver¬ 
werten. Uebrigens zeigt ein Bild des Landshuter Malers Hans Wertinger gen. Schwab, Alexander 
und sein Arzt, von 1517, im Rudolphinum in Prag in der Haltung der vordersten Figur sowie 
im Kostüm derselben Anklänge an die Gestalt des hl. Sigismund. Irgendwelche sichere Schlüsse 
daraus zu ziehen, erachte ich jedoch für unzulässig. 
2 Vergl. auch Mader, Loy Hering (1905) S. 92. Auch für das Füllstück des reitenden Sensen¬ 
mannes in der Schrift scheint mir ein Holzschnitt Dürers (B. 131) Vorgelegen zu haben. 
3 Die Zeichnung befindet sich im Histor. Verein von Oberbayern: Manuskript 418 S. 65. Ich 
verdanke den gütigen Hinweis Herrn Prof. Dr. Schlecht in Freising.
	        
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