Volltext: Drama und Theater in Österreich ob der Enns bis zum Jahre 1803

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Lindemayr dürfte in Salzburg, wo er um die Mitte des Jahr- 
hunderts studiert hat, wahrscheinlich von P. Marian Wimmer aus 
dem Stifte Seeon, dem vertrauten Freunde der Familie Mozart sen., 
die Anregung zum Dialektstück erhalten haben. 
Sein Naturell war dazu das allerglücklichste und als Seelsorger 
hatte er Zeit und Gelegenheit in Fülle, das Volk, den Bauern und 
kleinen Mann durch und durch zu studieren. Er muß schon längere 
Zeit dramatisch tätig gewesen sein, ehe er damit herausrückte, denn 
ein paarmal spricht der Prior Sperl von „alten Geburten“ des be¬ 
liebten Volksdichters. 
Die Vollendung der neuen Stiftsbühne im Jahre 1770 lüftete 
den Schleier. Als am 23. April desselben Jahres die Erzherzogin 
Maria Antoinette auf ihrer Durchreise nach Frankreich im Stifte 
übernachtete, führte man zur „Diversion“ Lindemayrs „Kurz¬ 
weiligen Hochzeitsvertrag“ auf, an dessen „landlerischen“ 
Versen voll Natürlichkeit sich die Erzherzogin, die überhaupt das 
Theater liebte, köstlich amüsierte.1) 
Man erinnert sich dabei unwillkürlich, wie ein Jahrhundert 
früher (10. Oktober 1660) bei Gelegenheit des festlichen Durchzuges 
der Prinzessin Elisabeth Maria Charlotte, Pfalzgräfin bei Rhein und 
Herzogin in Bayern, der Braut Georgs III. zu Liegnitz und Brieg, 
die jungen Bürger zu Glogau „Die geliebte Dornrose“, ein 
Scherzspiel in schlesischem Bauerndialekt, von Gryyhius zur Auf¬ 
führung brachten. 
Es ist kaum anzunehmen, daß Lindemayr davon Kenntnis 
hatte, andere noch weniger; vielmehr empfand man überall seinen 
Versuch als etwas ganz Neues. 
hat hie und da schon die Priorität Lindemayrs angezweifelt und auf verschiedene 
KremsmtiDsterer Stücke verwiesen, in denen der Dialekt eine große Rolle spielt. 
Allein es handelt sich darum, wer zuerst Dramen vollständig in der Mundart 
gedichtet hat, und hierüber kann nach der Äußerung Sperls trotz dem bescheiden 
hinzugesetzten „vielleicht“ kein Zweifel sein, soweit eben die Frage Oberöster¬ 
reich betrifft. 
*) Der Inhalt des Stückes ist kurz folgender: Ein wackeres oberöster¬ 
reichisches Bauernmädchen namens Katharina (Treinsch) ist viel umworben, 
schenkt aber sein Herz dem tüchtigen Bauernsohne Jörg (Jodl). Da man eben 
im Begriffe steht, Hochzeit zu halten, langt Befehl von der Herrschaft ein: es 
soll die ganze Dorfbewohnerschaft nach Lambach kommen, um der durch¬ 
lauchtigsten Frau Erzherzogin die Aufwartung zu machen, und zwar mit einer 
bäurischen Lustbarkeit. Darob nun großer Jubel, freilich mit einem Wermuts¬ 
tropfen: dem Gefühle, daß Österreich eine edle Prinzessin verliert.
	        
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