Volltext: Drama und Theater in Österreich ob der Enns bis zum Jahre 1803

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Lassen wir sie blühen und wenden wir uns einer anderen 
Bühnenkrankheit dieser Zeit zu: Der Ballettsucht. 
„Der eigentliche Schöpfer des Balletts ist Jean Georges Noverrey 
ein Franzose, der im Jahre 1760 ein merkwürdiges Buch: „Lettres 
sur la danse et sur les ballets“ (Lyon) herausgab, welches auch in 
der Folge mehrfach ins Deutsche übersetzt wurde und das man 
eine philosophische Begründung der Tanzkunst nennen könnte. Eine 
Art Ballett hatte allerdings schon bis auf Noverre bestanden, nämlich 
das übliche Einflechten von Tänzen in den italienischen Opern. 
Man war dabei nicht sehr wählerisch und an den unpassendsten 
Stellen einer heroischen Oper wurde der Zuschauer oft plötzlich 
mit einem solchen Tanz - Divertissement überrascht. Noverre be¬ 
gründete nun das Ballett als einen selbständigen Zweig der Schau¬ 
spielkunst, verlangte strenge Scheidung desselben von dem Gesang¬ 
lichen und erhob es zum „wirklichen, dramatischen Charaktertanz“. 
Auch der königlich dänische Ballettmeister Vincenzo Galeotti 
in Kopenhagen ist für die Entwicklung des Balletts wichtig ge¬ 
worden. 
Weder Noverre noch Galeotti hatten das Ballett als Nach¬ 
oder Zwischenspiel im Auge, wie es sich in Deutschland und ins¬ 
besondere auch auf den österreichischen Theatern entwickelte. 
Kein Motiv konnte so unpassend sein, daß man es nicht, in 
ein Ballett verwandelt, dem Publikum vorgeführt hätte. Das Ballett 
bildete oft die einzige Zugkraft, die Leute ins Theater zu locken, 
und der Direktor konnte eines vollen Hauses gewiß sein, wenn er 
dem Hauptstücke irgendein solches Ballett folgen zu lassen an¬ 
gekündigt hatte. Die Regeln der Kunst, wenigstens diejenigen, 
welche ein Noverre oder Galeotti vorgeschrieben, wurden dabei 
natürlich wenig befolgt und die Geschmacklosigkeit hatte genügenden 
Spielraum, sich breit zu machen.“1) 
Es ist bekannt, wie sehr das Werther-Fieber von der Mitte 
der Siebzigerjahre des 18. Jahrhunderts an in Deutschland um sich 
gegriffen hatte. Werther trat in alle möglichen Beziehungen zum 
öffentlichen Leben; Mode, Theater, Literatur, alles wurde von 
diesem kleinen Büchlein Goethes beeinflußt, ein Büchlein, das aber 
einen Erfolg aufzuweisen hatte, wie er bis dahin in Deutschland 
bei keinem Buche auch nur annäherungsweise zu verzeichnen ist. 
Die Behörden Österreichs hatten gegen den „Werther“ 
nichts einzuwenden und so verbreitete sich das Buch auch inner- 
*) A. Schlossar, Innerösterreichisches Stadtleben vor hundert Jahren. 
Wien 1877, p. 37 f.
	        
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