Volltext: XXI. Jahresbericht des Mädchen Lyzeums in Linz 1909/10 (21. 1909/10)

und Auflösung der abgestorbenen Tiere und Pflanzen und auch der 
menschlichen Kadaver bemüht, die sonst in Massen sich anhäufen 
würden. In dieser unscheinbaren und meist verborgenen Bakterien¬ 
tätigkeit liegt eigentlich die Bedingung alles weiteren Lebens. 
Denn ohne Fäulnis und Verwesung würden in den abgestorbenen 
Körpern die Stoffe ebenso dauernd gebunden bleiben, wie die 
chemischen Verbindungen in den Gesteinsarten der Erde. Neues 
Leben könnte sich nicht entwickeln, weil es ihm vor allem an dem 
nötigen Stickstoff fehlen würde, mit dem sonst die sich zersetzenden 
Organismen fortwährend den Boden düngen. Daher ist es notwendig, 
daß Totes der Auflösung unterliege. — So gefyt ein fortwährender 
Kreislauf der Materie von Totem zu Lebendigem und aus diesem wieder 
zurück zu Toten:, die Materie der abgestorbenen Organismen wandert 
durch Generationen lebender Menschen, Tiere und Pflanzen und diese 
Kontinuität der Materie im Leben, in der sich doch eigentlich nur das 
Gesetz von der Erhaltung des Stoffes ausspricht, geht parallel der 
Kontinuität des Lebens durch das Keimplasma, die eine ununterbrochene 
Folge von lebendigen Formen und Gestalten verbürgt. Toter Stoff 
kann also verlebendigt werden, aber immer ist diese Verlebendigung 
an die Existenz von schon vorhandenem Leben gebunden, und zwar 
sind es die Pflanzen, die diese wunderbare Umformung bewirken, sie 
sind es, die mit Hilfe der Sonnenlichtenergie, dieser Urkraft aller Lebens- 
werdung, die stabilen, chemisch energielosen Verbindungen des Masters, 
der Kohlensäure und der Salze in mit chemischen Spannkräften ge¬ 
ladene Verbindungen der lebendigen Substanz überführen. Bei einem 
großen Absterben alles Lebendigen auf der Erde wären also schon 
wenige überlebende Keime imstande, das Leben auf der Erde neu zu 
begründen und wuchern zu lasten, so wie ein kleiner, vom Erlöschen 
bewahrter Funke einen ungeheuren, sich weithin entrollenden Brand 
entflammen kann. Mieder erscheint uns das Leben als Flamme oder 
Brand. Darin, daß es sich, wie dieser, selbst erhalten, fort und fort 
wiederholen und ausbreiten, das heißt größere Quantitäten fremder 
Materie in sein Bereich ziehen kann, unterscheidet es sich von den 
meisten chemisch-physikalischen Prozessen, die sich selbst überlassen bald 
zum Stillstand kommen. 
Ein gemeinsamer Kreislauf verbindet leblose und lebendige Materie, 
Organisches oder Lebendes wird durch Absterben zu Totem, Anorganischem, 
und kann sich selbst am Bau großer Erdmassen beteiligen, wie die als 
mächtige organische Sedimente gebildeten Kalkgebirge und Kohlenflöze 
beweisen. Tote Materie kann in den Strom des Lebens gezogen, ver¬
	        
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