Volltext: XXI. Jahresbericht des Mädchen Lyzeums in Linz 1909/10 (21. 1909/10)

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Betrug und erscheint nicht mehr?) hingegen stößt eine summende Fliege 
wiederholt an die Fensterscheiben, ohne durch „Erfahrung" klug zu 
werden. Ein geköpfter Frosch springt wiederholt gegen ein ihm entgegen¬ 
gestelltes Hindernis. Endlich nimmt er den Sprung richtig und setzt 
darüber. Setzt man ihn auf ein Brett, das man vorn hebt, so kriecht 
er hinan, um nicht hinabzusallen. Einen Tropfen schwacher Schwefel¬ 
säure, mit der inan seinen Bücken betupft, wischt er korrekt mit dem 
Hinterbein derselben Seite ab. Diese versuche veranlaßten E. Pflüger 
zur Annahme einer eigenen „Bückenmarksseele", sie beweisen aber, daß 
Gedächtnis auch ohne Gehirn existiert. 
Diese Beobachtungen bezeugen nicht nur die früher behauptete 
Fähigkeit der Selbstregulation, der selbständigen Abänderung und Um¬ 
stimmung von Reflexen, sondern sie lassen auch das „Gedächtnis", 
das heißt das unbewußte Gedächtnis als eine Grundeigenschaft 
alles Organischen, des Plasmas, erkennen, wenn Beize wiederholt 
das Plasma treffen, so lassen sie ebenso wie Sinneseindrücke in unserem 
Gehirn ein Erinnerungsbild (Vorstellung), in der lebenden Substanz eine 
unbewußte Gedächtnisspur oder „Erfahrung" als eine materielle Spur 
oder Disposition des Plasmas zurück, vermöge deren jede folgende 
Reaktion um so prompter und sicherer verläuft und an welcher jede 
Beizänderung gemessen werden kann. Selbst kompliziertere Reflexe ver¬ 
laufen dann durch Übung und Gewöhnung mit maschinellmäßiger 
Exaktheit in solchen „ausgefahrenen Beflexbahnen" uild find dann oft 
schwer abzuändern. In diesem allgemeinen Sinne gefaßt, ist das „Ge¬ 
dächtnis des Orgailischen" die Grundbedingung jeder psychischen Ent¬ 
wicklung. Ohne Gedächtnis bildet sich kein Grulldstock für die Apper¬ 
zeption neuer Beize (Eindrücke) und ist jede Assoziation und jedes 
Wachstum des Vorstellungslebens ausgeschlossen. Es ist die zweite, 
psychische Seite des gesamten Lebens, das zugleich Materie mld Seele 
ist. welche Bolle dieses uilbewußte Gedächtnis in unserer Psyche spielt, 
wie längst aufgenommene und im Unbewußten schlummernde Erlebnisse 
plötzlich wieder reproduziert werden können, braucht wohl nicht weiter 
ausgeführt zu werdell. 
Auf dieser Beizeinprägung (Engraphie) von Erregungszuständen 
in das Plasma beruhen auch die Tatsachen der Vererbung. Man 
hat diese auch das „Gedächtnis des Reimes" genannt. Uraltes, einst 
erworbenes Erbgut, physisches und psychisches, bewahrt der Reim und 
trägt es von Generation zu Generation. Jede Zelle kailn nur das, 
was sie „gelernt" hat, der Reim aber sammelt und birgt in sich die 
1) Bach <£. Mach zitiert.
	        
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